Wirtschaftsweise Malmendier bei der Bundespressekonferenz
interview

Wirtschaftsweise zum Fachkräftemangel "Jeden Tag wird das Problem ein bisschen schlimmer"

Stand: 31.05.2025 09:27 Uhr

Die Wirtschaftsweise Malmendier fordert mehr Zuwanderung, bessere Anreize für Vollzeitarbeit - und kritisiert bei hart aber fair die Politik. Deutschland habe ein Problem, das man "vor 30 Jahren schon hätte lösen können".

hart aber fair: Man hört es immer wieder von Bürgerinnen und Bürgern, auch von ganz vielen Unternehmerinnen und Unternehmern: Die Fachkräfte fehlen. Ist das so?

Ulrike Malmendier: Ja, das ist in der Tat so. Und das ist eines der großen Mankos für mich, was den Koalitionsvertrag betrifft. Am 25. Juni will die Koalition herauskommen mit dem Wirtschaftsplan. Von dem, was man bisher gehört hat, wird vieles angegangen. Aber das Haupthemmnis für Wachstum in Deutschland ist der Fachkräftemangel.

Da kann man - und das wird ja auch gemacht - teilweise an inländische Fachkräfte denken. Man kann sagen, dass wir Frauen mehr von Teilzeit in Vollzeit bringen müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass Leute, die in der Lage dazu sind und willig sind, länger arbeiten - über ihre Lebensarbeitszeiten weg. Wenn man das schafft, wäre das schön, aber es wird nicht reichen. Wir brauchen auch Leute aus dem Ausland, die bereit sind, in Deutschland zu arbeiten.

Das Thema wird nicht angegangen - wahrscheinlich, weil es mit dem Migrationsthema vermischt wird, aber man könnte das auch eigentlich sehr marktorientiert "spinnen": Lassen wir doch die Firmen entscheiden. Wenn die sagen: "Ich habe da jemanden gefunden, in Indien oder in Argentinien, der möchte gern ins Land kommen. Ich glaube, dessen Ausbildung ist gut genug. Ich habe einen Job für den, sobald er hier ankommt" - dann sollen wir denen doch bitte um Himmels Willen nicht ins Handwerk pfuschen, sondern die Marktwirtschaft machen lassen.

Ulrike Malmendier
Zur Person
Ulrike Malmendier ist seit September 2022 Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft. Sie lehrt unter anderem als Professor of Finance an der University of California in Berkeley, Malmendier hat verschiedene Forschungsaufenthalte an der Princeton University, an der University of Chicago, am Max-Planck-Institut in Bonn und an der Universität Oxford absolviert.

Nicht zu wenig Arbeit, sondern zu wenig Arbeitskräfte

hart aber fair: Bundeskanzler Friedrich Merz hat kürzlich gesagt: "Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten. Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand unseres Landes nicht erhalten können."

Malmendier: Ich würde mir sehr wünschen, dass Arbeit weniger das große Feindbild ist. Arbeit kann auch ziemlich viel Spaß machen. Da kann ich was erreichen, da kann ich Menschen bewegen, da kann ich Dinge verändern. Bei diesem kulturellen Aspekt würde ich ihm auf jeden Fall zustimmen.

Was jedoch die schnöden Fakten betrifft, stimmt es zwar, dass in Deutschland das sogenannte Arbeitsvolumen - also die Anzahl an Stunden, die wir alle hier aufaddiert im Jahr arbeiten - das Wachstumshindernis Nummer Eins ist. Aber was da als erstes ganz negativ reinschlägt, ist, dass wir nicht genügend Leute haben - einfach wegen der demografischen Alterung und weil wir nicht attraktiv genug sind als Einwandererland für Fachkräfte. Das Zweite, was dann negativ reinschlägt, ist die durchschnittliche Zahl von Arbeitsstunden pro Erwerbstätigen. Wenn man genauer hinguckt, ist der Grund für diese Statistik das, was von den Politikern immer als großer Erfolg gefeiert wird, dass nämlich die Teilnahme der Frauen am Arbeitsmarkt wahnsinnig gestiegen ist und dass sogar Leute in höherem Alter über das Renteneintrittsalter hinaus noch arbeiten. Das machen die aber oft in Teilzeit.

Das heißt, dieser Erfolg, diese Zunahme an neuen Arbeitskräften, die leider immer in Teilzeit stattfindet, die verdirbt diese Statistik. Und das ist quantitativ bei weitem der Hauptgrund, warum es so aussieht, als ob wir zu wenig Stunden arbeiten. Wenn man es auf Vollzeitbeschäftigte konzentrieren würde, sähe das Bild ganz anders aus.

"Ein Mathe-Problem, das geht so nicht"

hart aber fair: Das heißt, die Deutschen arbeiten gar nicht zu wenig?

Ulrike Malmendier: Die Deutschen, die Vollzeit arbeiten, die arbeiten gar nicht zu wenig. Man kann darüber sprechen, ob es noch ein bisschen ausgeweitet werden soll, aber das sind so kleine Verbesserungen am Rande. Das, was wirklich helfen würde, ist, wenn wir es insbesondere für Frauen, insbesondere für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer attraktiv machen würden, in Vollzeit zu gehen oder mehr Stunden zu arbeiten.

hart aber fair: Es war in den letzten Jahrzehnten kein Geheimnis, dass die Deutschen immer älter werden, wir einen demografischen Wandel haben, immer mehr Leute in Rente gehen. Können Sie sich erklären, warum das Problem einfach nicht strukturell angegangen wird?

Ulrike Malmendier: Also, das treibt mich echt in den Wahnsinn, denn das ist wirklich ein völlig offensichtliches Problem. Und ein Problem, das man vor zehn, vor 20, ich würde sagen: vor 30 Jahren ziemlich gut vorhersagen konnte. Das ist echt ein Mathe-Problem, das geht so nicht.

Reformen aufgeschoben, Probleme verschärft

hart aber fair: Aber wer hat es verbockt?

Ulrike Malmendier: Alle über die letzten 20, 30 Jahre. Ich denke, da gibt es zwei Gründe. Der eine Grund ist: Es ist einfach unangenehm, das zu machen. Wer will sich denn die Wähler verprellen, gerade in einer älter werdenden Gesellschaft? Wenn gerade die ältere Bevölkerung besonders besorgt sein wird, wenn es irgendwelche Änderungen gibt, will man nicht derjenige sein, der diese implementiert und dafür bestraft wird.

hart aber fair: Weil die ältere Wählergruppe so eine große, wichtige Wählergruppe ist?

Ulrike Malmendier: Genau. Das Zweite ist der sogenannte "Present Bias", dass man immer an das Jetzt denkt und nicht so sehr, was dann in der Zukunft aus dir wird. In der Politik ist es meines Erachtens so, dass man denkt: "Ich habe jetzt diese Legislaturperiode, da komm ich schon irgendwie noch über die Runden, lass das mal den Nächsten angehen." Wir haben kein Anreizsystem, das die Leute dafür bestrafen würde, dass sie das Problem nicht angehen. Ganz im Gegenteil: Ich werde gewählt, keiner spürt das Problem so richtig.

Jeden Tag wird das Problem ein bisschen schlimmer, und es kommt nicht irgendwann in einem Moment der große Crash. Obwohl, vielleicht kommt der demnächst, also 2030, 2035, wenn die sogenannten Babyboomer - also eine sehr starke Generation - in Rente gehen. Dann werden wir mal sehen, wie wir weiter Dienstleistungen zur Verfügung stellen, wie wir die Rente finanzieren wollen, wenn wir nichts ändern.

Das Interview wurde redaktionell gekürzt. Das Gespräch führte Louis Klamroth, hart aber fair

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 21. Mai 2025 um 22:15 Uhr.