
Thüringen "Gefahr für die gesamte Geburtshilfe": Thüringer Hebammen fürchten neue Vergütungsregeln
Auch in Thüringen schlagen derzeit die Hebammen Alarm. Grund ist eine neue Gebührenordnung der gesetzlichen Krankenkassen, die viele Hebammen finanziell schlechter stellen könnte. Die Berufsverbände warnen, auf dem Spiel stehe nicht nur die berufliche Existenz vieler Hebammen, sondern auch die Qualität der Geburtshilfe. Die Krankenkassen sprechen indes von einer Aufwertung der Hebammen-Arbeit. Wie passt das zusammen?
Modernere Strukturen, Bürokratieabbau und eine bessere Bezahlung - der neue Hebammenhilfevertrag des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verspricht viel Gutes für Hebammen. Trotzdem rufen derzeit bundesweit zahlreiche Hebammen zum Protest auf. Eine Petition für den Stopp des neuen Hebammenvertrags hat inzwischen über 27.000 Unterschriften. Gefürchtet werden vor allem neue Vergütungsregeln, unter denen insbesondere eine Berufsgruppe leiden könnte: Freiberufliche Dienstbeleghebammen.
Als Dienstbeleghebamme für alle Geburten zuständig
Hanneke Birkenstock arbeitet als Dienstbeleghebamme in Erfurt. Sie ist zwar selbstständig, hat aber einen Kooperationsvertrag mit einer Geburtsklinik. Wie das festangestellte Klinikpersonal übernimmt sie bestimmte Dienste, beispielsweise Früh-, Spät- oder Nachtschichten. Anders als klassische Beleghebammen, die ihre Schwangeren individuell betreuen, ist Hanneke Birkenstock als Dienstbeleghebamme für alle Geburten zuständig, die während ihres Dienstes anfallen.
Genau hier liegt der Haken des neuen Hebammenhilfevertrags. Bisher haben Hanneke Birkenstock und ihre Dienstbeleg-Kolleginnen pro Geburt die gleiche Vergütung erhalten. Da sie nicht selten mehrere Schwangere parallel betreuen, rechnete sich das Modell für sie. Auch Dienstbeleghebammen sollen mit der neuen Vergütungsordnung deutlich mehr Geld bekommen - allerdings gilt das nur für die Eins-zu-Eins-Betreuung. Für eine zweite oder dritte Schwangere werden die Hebammen zukünftig hingegen deutlich geringer vergütet.

Misst diesem CTG-Gerät misst Hebamme Birkenstock die Herzfrequenz eines Babys im Mutterleib.
Einkommensverlust bis 30 Prozent befürchtet
Laut Deutschem Hebammenverband drohen Dienstbeleghebammen dadurch Einkommensverluste von bis zu 30 Prozent. In den Kliniken können sich die Hebammen nicht aussuchen, wie viele Schwangere sie betreuen. "Die Geburtshilfe ist ein Stoßgeschäft. Das lässt sich nicht planen", sagt Grit Böhner, leitende Hebamme des Erfurter Teams. Natürlich würden sich ihre Mitarbeiterinnen auch lieber nur um eine Frau kümmern, die Realität auf den Geburtsstationen sehe angesichts des Hebammenmangels aber anders aus.
Dass der Eins-zu-eins-Bonus vor allem Beleghebammen finanziell benachteiligt, kritisiert auch der Hebammenlandesverband Thüringen. Die Gefahr bestehe, dass immer mehr Klinik-Mitarbeiterinnen ihren Beruf aufgeben, so die Landesvorsitzende Diana Schmidt. "Man kann davon ausgehen, dass die Belegsysteme dann nicht mehr arbeitsfähig sind."
Außerklinisch tätige Hebammen könnten profitieren
Schmidt sagt, es gebe aber auch Hebammen, die von der neuen Gebührenordnung profitieren könnten. Gemeint sind vor allem außerklinisch tätige Hebammen, die Hausgeburten begleiten oder in Geburtshäusern arbeiten. Laut Diana Schmidt könnte sich die Qualität der Betreuung auch im Bereich der Vor- und Nachsorge verbessern. Künftig sollen sich freie Hebammen mehr Zeit für die Familien und Frauen bei ihren Hausbesuchen nehmen können. Fixe Pauschalen, die aktuell noch unabhängig von der Dauer eines Termins gezahlt werden, sollen ab November durch eine Fünf-Minuten-Regelung ersetzt werden. Auf diese Weise soll eine Hebamme so viel Zeit bei einer Frau verbringen können, wie nötig ist - und diese Zeit auch entsprechend abrechnen können.
Eine volle Vergütung für die volle Verantwortung - das wünscht sich auch Dienstbeleghebamme Hanneke Birkenstock aus Erfurt. Zu den Stoßzeiten muss sie für alle Frauen gleichermaßen da sein, auch wenn sie dafür künftig abgestaffelt vergütet wird. Wenn eine individuelle Betreuung zum Dogma in den Kliniken erklärt wird, könnte die gesamte Geburtshilfe darunter leiden, glaubt sie. "Dann werden viele Hebammen den Beruf an den Nagel hängen. Und je weniger Hebammen am Ende übrigbleiben, desto weiter kommen wir auch wieder von der Eins-zu-Eins-Betreuung weg".
Dann werden viele Hebammen den Beruf an den Nagel hängen. Und je weniger Hebammen am Ende übrigbleiben, desto weiter kommen wir auch wieder von der Eins-zu-Eins-Betreuung weg. Hanneke Birkenstock, Dienstbeleghebamme in Erfurt |
Der GKV sieht die Lösung in einer grundlegenden Umstrukturierung der Arbeitsbedingungen auf den Belegstationen. Nur so könne die Eins-zu-Eins-Betreuung dort zur Norm werden. "Durch den Hebammenhilfevertrag wird die Geburtshilfe insgesamt gestärkt", so ein Sprecher des Verbands. "Das wird dadurch erreicht, indem das ganze System umgestellt wird - was im Übrigen von allen Beteiligten im Vorfeld so gefordert wurde."
Kassenverband sieht keinen Hebammenmangel
Zur Problematik des Hebammenmangels sagt der GKV, dass er die Rahmenbedingungen geprüft habe. Die Zahlen würden eine andere Sprache sprechen: "Nach unserer Einschätzung gibt es in den Ausbildungsjahrgängen Steigerungen und auch grundsätzlich einen leichten Anstieg bei den freiberuflichen Hebammen."
Der Deutsche Hebammenverband sieht die personellen Voraussetzungen hingegen noch nicht. Bundesweit protestieren Hebammen und fordern, den Vertrag zurückzunehmen oder umfassend zu überarbeiten. Wie sich die neuen Regelungen auf die Geburtshilfe auswirken, wird sich letztendlich erst ab November dieses Jahres abzeichnen. Bis in der zweiten Jahreshälfte 2027 soll eine Arbeitsgruppe die finanziellen und strukturellen Auswirkungen auf das Beleghebammensystem evaluiert haben. Viele Hebammen fürchten aber, dass die entstandenen Schäden bis dahin schon zu groß sind.
MDR (seg)