Ein Demo-Zug zieht durch Dresdens Regierungsviertel zum Carolaplatz.

Sachsen Demo-Teilnehmer in Dresden verlangen: "Verhindert, was uns behindert"

Stand: 05.05.2025 22:58 Uhr

Zum Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen gingen bundesweit Menschen auf die Straße und kämpften für gleiche Chancen, Teilhabe am Leben und gegen Barrieren aller Art. Auch in Dresden waren rund 100 Menschen bei einer Demo und verlangten Inklusion - in allen Städten und Dörfern.

Von Kathrin König und Benjamin Jakob, MDR SACHSEN

Dass Manuel Schramm aus Zwickau nicht laufen kann, hat er sich nicht ausgesucht. Auch sein Arbeitsplatz in einer Behindertenwerkstatt ist nicht sein Wunschplatz mit einer Arbeit, die nicht sein Traumberuf ist. "Ich fühle mich schon unterfordert, wollte eigentlich Bürokaufmann werden, aber kein Arbeitgeber wollte mich einstellen und die Barrierefreiheit schaffen, die ich brauche", erzählt der 35-Jährige. Für die Arbeitsagentur sei es der schnellste Weg gewesen, ihn an eine Behindertenwerkstatt zu verweisen.

Selbst wenn er nun, gut 20 Jahre nach dem Schulabschluss, auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Lehrstelle finden würde, fielen seine Rentenpunkte weg, die er bislang in der Werkstatt erarbeitet hat. "Ich würde ganz von vorne anfangen. Das System steht sich doch selbst auf den Füßen."

Europäischer Protesttag auch in Dresden

Von Geburt an hat Manuel Schramm eine unheilbare Muskeldystrophie (Muskelschwund) und sitzt im Rollstuhl. "Ich bin es gewohnt, immer um alles zu kämpfen", sagt er. Darum ist er auch am Montag auf der Straße in Dresden beim Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen.

Kommunen als wichtige Partner für Teilhabe

"Schauen Sie sich in den Einkaufsstraßen oder bei Ämtern um: Überall hohe Schwellen und Stufen", sagt Schramm. Wie zum Beweis ist auch der Zugang zum Städte- und Gemeindetag in Dresden nicht barrierefrei. In der Glacisstraße will er im Namen des Vereins "Zentrum selbstbestimmt Leben – Sachsen" und Mitstreiterinnen und Mitstreitern ein Forderungspapier an den kommunalen Spitzenverband übergeben. Denn das Leben finde in den Kommunen statt, sagt der Verein, daher seien die auch die ersten Ansprechpartner.

Wo ein Wille ist, ist oft keine Rampe. Losung auf einem Protestplakat |

Der stellvertretende Geschäftsführer Ralf Leimkühler kommt zu den knapp 100 Demonstrierenden über die Straße. "In den Gemeinden muss Teilhabe stattfinden - analog und digital. Inklusion ist ein Menschenrecht", sagt ihm Manuel Schramm und zählt unter Beifall der Demo-Teilnehmenden die Forderungen auf: mehr Vielfalt in Sachsens Schulen, barrierefreie und bezahlbare Wohnungen, ein Ende von Druck und Zwang bei der Wahl der Wohnform, starke Behindertenbeiräte in allen Gemeinden. Zudem solle das sächsische Inklusionsgesetz in Kommunen ernster genommen werden.

Ein Mann im Rollstuhl hat ein Protestplakat hinter sich angebracht und gibt ein Interview.

Manuel Schramm ist auf dem Land aufgewachsen und kennt die Hürden, die sich vor Menschen mit Behinderungen auftürmen. Er sagt: "Ich bin es gewohnt, zu kämpfen."

Geldnöte der Gemeinden vs. Menschenrecht

Leimkühler vom Städte- und Gemeindetag hört zu und verspricht, sich mit Vertretern zusammenzusetzen und die Forderungen zu besprechen. Allerdings verweist er auf die Geldnöte der Kommunen in Sachsen. Die hätten im vergangenen Jahr rund 680 Millionen Euro Defizite gehabt. "Die Lage ist so schwierig wie seit 30 Jahren nicht", so Leimkühler.

Ein Mann im Anzug steht zwischen vielen Demo-Teilnehmern und hat ein Mirko in de rhand, in das er gleich sprechen will.

Der Vize-Geschäftsführer des Städte- und Gemeindetags, Ralf Leimkühler (im Anzug), versprach nicht viel, aber sagte, dass sich der Spitzenverband mit Behindertenvertretern das Positionspapier ansehen wolle.

Dem setzt der Behinderten-Vertreter Schramm entgegen: "Die finanzielle Lage einer Kommune darf niemals ein Vorwand sein, die Menschenrechte zu verweigern." Und weiter: "Wir wissen, die Zeiten sind schwierig. Aber in Krisenzeiten zeigt sich der Charakter einer Gesellschaft."

Demo verursacht Feierabend-Stau

Nach der Übergabe des Papiers ziehen die Teilnehmer durchs Regierungsviertel hin zum Goldenen Reiter. Auf der Großen Meißner Landstraße und dem Carolaplatz müssen Straßenbahnen und Autofahrer warten. Manche blicken genervt wegen des Staus im Feierabendverkehr, einige nicken der Demo zustimmend zu aus der Bahnlinie 3. Manuel Schramm sagt dazu nur: "Jede gesellschaftliche Gruppe hat das Recht zu demonstrieren."

Das sieht auch Lutz Schönfelder so, der seine Kinder im Fahrradanhänger Richtung Hauptstraße fährt und zufällig auf die Demo trifft. "Es muss noch so viel passieren für Barrierefreiheit. Das merken wir ja schon beim Radfahren mit dem Anhänger. Ich stelle es mir für Rollstuhlfahrer noch schwieriger vor."

Verhindert, was uns behindert. Löhne hoch, Barrieren runter. Forderungen auf einem Protestbanner |
Eine Studentin im Rollstuhl spricht zu Demo-Terilnehmernin Dresden vor dem Goldenen Reiter.

Lisa Iden zählt viele Bereiche auf, in denen sie schon Diskriminierungen erlebt hat: beim Busfahren, in der Bahn, beim Frauenarzt oder in der Uni, wenn es keine barrierefreien Arbeitsplätze gibt.

Studentin ärgert sich über Ignoranz und Anmaßungen

In den Ballungszentren und Großstädten so schon viel geschehen für Teilhabe, "aber auf dem Land gibt es für Behinderte viele Barrieren, dort ist die Lage sehr viel schlechter", erzählt der Behindertenvertreter Schramm. Wie langsam selbst an einer sogenannten Exzellenzuniversität wie der TU Dresden die Bürokratiemühlen mahlen, weiß Lisa Iden. Sie sitzt im Rollstuhl und ärgert sich, dass sie um "Basics wie Arbeitstische und barrierefreie Lernplätze kämpfen muss".

Später bei ihrer Rede während des Protestmarschs berichtet die Studentin der Mathematik und des Verkehrsingenieurswesens, was sie im Alltag aufregt: "Wenn Busfahrer keine Rampe rausholen wollen, Leute in der Bahn den Rollstuhlplatz nicht freigeben oder ich mir menschenverachtende Sprüche anhören muss. Wenn mir gesagt wird, ich solle doch gefälligst dankbarer sein, vor 80 Jahren hätte ich nicht überlebt. Oder wenn Lebenshilfe-Gebäude mit Steinen beworfen werden, auf denen Sprüche mit Bezug zur Euthanasie stehen", dann sieht sie das Erstarken des Rechtspopulismus "und der AfD als Gefahr".

Inklusion ist Revolution mit Herz. Slogan auf einem Banner am Protesttag |

Ginge es nach 26-Jährigen, dürfte es einen Europäischen Protesttag wie am 5. Mai gar nicht geben. Doch so lange das Menschenrecht auf Teilhabe aller, das vor 17 Jahren von der UN definiert wurde, nicht Alltag sei, ruft sie dem Demozug zu: "Bleibt wütend, behindert und stolz!"

Das steht in der UN-Menschenrechtskonvention seit 17 Jahren

  • "Die Vertragsstaaten bekräftigen, dass Menschen mit Behinderungen das Recht haben, überall als Rechtssubjekt anerkannt zu werden.
  • Die Vertragsstaaten anerkennen, dass Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit genießen."
  • Den vollständigen Wortlaut und die Bestimmungen der UN finden Sie hier.
Eine Aufblasbare Figur in Form der Freiheitsstatue sitzt im Rollstuhl bei einer Demo in Dresden.

Eine rund vier Meter hohe Freiheitsstatue im Rollstuhl der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland war auf dem Jorge-Gomondai-Platz präsent. Dort versammelten sich nach dem Protestzug Teilnehmer, Künstler und Neugierige und demonstrieten auf vielfältige Weise für ihr Recht auf Teilhabe.