
Brandenburg Berlin Instagram zeigt Traumkörper - die Nebenwirkungen der Spritze dagegen kaum
Influencer:innen feiern sogenannte Abnehmspritzen als schnellen Bodyhack und liefern Tipps, um an Wirkstoffe zu kommen, wie sie zum Beispiel in Ozempic stecken. Doch Experten warnen vor einer Nutzung ohne ärztliche Begleitung. Von C. Rubarth und H. Daehler
"Der Wunsch abzunehmen, besteht eigentlich mein ganzes Leben. Ich schaffe es immer wieder, aber ich werde rückfällig und greife wieder zu Süßem", sagt die 45-jährige Lisa aus Brandenburg – die eigentlich anders heißt. Instagram spült der Mutter eines Kitakindes immer wieder Videos mit Menschen in den Feed, die ihre Abnehmerfolge feiern: viele Kilo weniger in kurzer Zeit, ohne Hungern, ohne Sport. Das sprach sie an.
Lisa war nie dünn, das Übergewicht begleitet sie durch den Alltag. Auf dem Spielplatz mit ihrem Sohn oder beim Einkaufen - sie fühlt sich nicht wohl, wenn sie kaum in die Schaukel passt, wenn Menschen sie im Supermarkt vielleicht beim Einkaufen beäugen. Gleichzeitig fällt ihr mit ihrem derzeitigen Gewicht Bewegung nicht leicht. “Mit 25 Kilo mehr drauf ist es schwer, weil ich gerne Sport mache, der schweißtreibend ist, der ausdauernd ist, der Schnelles in den Bewegungen hat. Da brauche ich dann einfach weniger Ausgangsgewicht." Eine sogenannte Abnehmspritze, die das Hungergefühl ausschaltet, schien Lisa eine gute Lösung.

Keine Kostenübernahme durch die Krankenkassen
Abnehmspritzen sind Medikamente, die ursprünglich für die Behandlung von Diabetes Typ 2 entwickelt wurden. In hohen Dosen und dauerhaft genommen, beeinflussen sie aber auch den Appetit und werden deswegen auch zum Abnehmen eingesetzt. Am bekanntesten ist Ozempic, dessen Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden, allerdings nur für die Behandlung von Diabetes. Viele Hollywood-Stars nehmen damit ab, vermitteln den Eindruck, dass es ganz leicht sei, dünn zu sein – ohne die Nebenwirkungen zu benennen.
Der gleiche Wirkstoff oder ähnliche Wirkstoffe wie bei Ozempic stecken auch in Wegovy, Mounjaro oder Saxenda. Diese sind tatsächlich für die Behandlung von Adipositas zugelassen, gesetzliche Krankenkassen übernehmen allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten. Medizinisch verschrieben werden können die Medikamente für Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) ab 30 sowie mit einem BMI ab 27 und zusätzlichen Gesundheitsproblemen wie Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen.

Abnehmspritze (zu) leicht zu bekommen
Wie leicht es Menschen gemacht wird, an die Spritze, die ja ein Medikament ist, zu kommen, hat Lisa überrascht. "Ich habe gegoogelt, mich bei einer Online-Arztpraxis registriert, einen Fragebogen ausgefüllt, Fotos hochgeladen, um zu zeigen, wie ich aussehe." Kurz darauf hatte sie das gewünschte Rezept als Selbstzahlerin - ohne mit einem Arzt oder einer Ärztin gesprochen zu haben. Die Spritze für einen Monat kostete sie 240 Euro.

Rafael-Berghaus
Wirkt nur, solange man spritzt
"Gerade bei Social Media wird zum Teil ein falsches Bild vermittelt", sagt Rafael Berghaus, Ernährungsmediziner in den DRK-Kliniken Berlin-Köpenick und Leiter des Berliner Adipositas-Zentrums. "Da wird diese Spritze als einfache Lösung zum Abnehmen dargestellt." Aber Erfolge seien immer nur in Kombination mit einer Basistherapie aus Bewegung und Ernährung zu erreichen, so Berghaus.
Auch die Ärztekammer Berlin betont: “Die Wirksamkeit des Medikaments besteht nur, solange es gespritzt wird. Ohne eine gleichzeitige Änderung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens ist nach Absetzen mit einer erneuten Gewichtszunahme zu rechnen." Konkret heißt das: Ohne Verhaltensänderung müsste man die Spritze dauerhaft nehmen, um das Gewicht zu halten.

Anna aus Reinickendorf
Starke Nebenwirkungen
Anna aus dem Märkischen Viertel in Berlin spritzt sich seit Januar einmal pro Woche Mounjaro. 15 Kilo hat sie schon abgenommen. Gestartet ist sie mit einer Dosis von 2,5 mg, hat dann auf die doppelte Menge erhöht. "Ich habe die höhere Dosis überhaupt nicht vertragen und am nächsten Morgen direkt gemerkt, dass ich nichts mehr bei mir behalten konnte, auch keine Flüssigkeit. Ich konnte keinen Kaffee trinken. Das kam innerhalb von zehn bis 20 Minuten wieder raus." Dazu bekam sie sehr starke Bauchschmerzen.
Anders als Lisa, lässt sich Anna ärztlich beraten. Die 23-Jährige hat eine Vorform von Diabetes, ihr Diabetologe empfahl ihr die Adipositas-Sprechstunde. "Als mir dort die Spritze verschrieben wurde, wurde mir direkt gesagt, dass ich unbedingt darauf achten soll, ob ich im oberen Bereich des Bauches Schmerzen verspüre, um eine eventuelle Bauchspeicheldrüsenentzündung auszuschließen." Als sie sich wegen ihrer Übelkeit telefonisch in der Praxis meldet, wird ihr direkt empfohlen, wieder die niedrigere Dosis zu nehmen.

Ohne Sport geht es nicht
Anna macht das, was Ernährungsmediziner Rafael Berghaus empfiehlt: Sie hat mit Hilfe einer Ernährungsberaterin ihre Ernährung umgestellt, sie bewegt sich mehr. Unter ihrem Schreibtisch steht ein Laufband, auf dem sie im Home-Office Strecke macht.
Was den Mediziner Berghaus noch umtreibt: Die möglichen Langzeitfolgen. "Man weiß noch nicht: Was macht das in zehn bis 20 Jahren mit den Patienten, die das Medikament genommen haben – oder mit denjenigen, die das sogar durchgehend einnehmen?” Anna will mit der Spritze nur so lange weitermachen, bis sie ihr Wunschgewicht von 80 Kilo erreicht hat.
Weniger Kilos bedeuten bei ihr jetzt schon mehr Lebensqualität. “Ich habe das erste Mal seit zehn Jahren nicht mehr täglich Rückenschmerzen. Ich merke, dass ich beweglicher geworden bin. Es fängt an, bei solchen Kleinigkeiten wie Beine rasieren oder Schuhe binden.” Erst sei es ihr Wunsch gewesen, mit der Abnehmspritze schlanker zu werden. Mittlerweile sehe sie aber vor allem, dass sie gesünder werde.

Nicht ohne ärztliche Begleitung
Anna begegnen im Netz immer wieder Hinweise, auf welchen Websites man sich das Rezept ausstellen lassen kann. "Es wird sogar teilweise in den Kommentaren direkt das Produkt angeboten zum Verkauf."
Lisas Spritze liegt noch in ihrem Kühlschrank. Benutzt hat sie sie bisher nicht. Zu groß waren dann doch die Zweifel, als sie - auch auf Social Media - von Nebenwirkungen bis hin zu Entzündungen der Bauchspeicheldrüse erfuhr. Für Ernährungsmediziner Berghaus ist klar: Das Medikament sollte nicht ohne ärztliche Betreuung genutzt werde. "Es ist kein Lifestyle-Produkt." Das betonen tatsächlich auch die Hersteller.
Sendung: Abendschau, 23.06.2025, 19:30 Uhr