Archivbild: Mahn- und Gedenkstaette auf dem Gelaende des ehemaligen faschistischen Konzentrationslagers Sachsenhausen im gleichnamigen Ortsteil von Oranienburg bei Berlin. (Quelle: dpa/Heinrich)

Brandenburg Freiwillige in der Gedenkstätte Sachsenhausen: "Viele Schüler wissen gar nicht, was passiert ist"

Stand: 04.05.2025 08:21 Uhr

Vor 80 Jahren wurde das KZ Sachsenhausen von der Roten Armee befreit. Den Soldaten boten sich entsetzliche Bilder. Heute ist Sachsenhausen eine Gedenkstätte. Josephine führt hier als FSJlerin Schulgruppen über das Gelände - kein einfacher Job.

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Leben gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Josephine Neumann ist 20 Jahre alt. Sie ist in Berlin geboren und lebt inzwischen in Brandenburg. Seit letztem Jahr arbeitet sie als Freiwillige im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen und führt seit einigen Wochen Schülergruppen durch die Gedenkstätte.

Mein Abitur habe ich 2024 gemacht, und dann war natürlich die Frage, was ich danach machen will? Ich hatte nicht direkt Lust, studieren zu gehen. Also habe ich geschaut, was man alternativ als Freiwilligendienst machen kann. Da wurde mir die Gedenkstätte Sachsenhausen vorgeschlagen. Ich hatte Geschichte-Leistungskurs in der Schule und war vorher schon total interessiert an Geschichte – da dachte ich: eine super Sache, einfach mal auszuprobieren.
 

Generell hatte ich voll Lust darauf, die Schüler rumzuführen, den Schülern das Thema näherzubringen und deswegen habe ich mich dafür entschieden. Ich muss sagen, zu Beginn des sozialen Jahres war es wirklich sehr schwer. Jedes Mal, wenn ich aufs Gelände gelaufen bin, hatte ich so ein bedrückendes Gefühl. Dieses Gefühl hat sich jetzt über die Monate, die ich da bin, immer mehr abgeschwächt. Wenn ich jetzt aufs Gelände gehe, dann ist das ganz normal. Das ist Arbeit. Ich habe mich aber auch ein bisschen selbst von diesem Thema distanziert. Ich erzähle den Schülern, was hier passiert ist. Das ist meine Arbeit. Ich führe sie rum, und wenn ich nach Hause gehe, dann ist das Thema weg. Ansonsten wäre es auch emotional viel zu belastend.

Josephine Neumann - bietet als Freiwillige Führungen im KZ Sachsenhausen an. (Quelle: privat)

Josephine Neumann

Zur Zeit meines Abiturs habe ich gemerkt, dass viele Schüler sich auch von diesem Thema distanzieren. Viele Meinungen von Schülern, ihre politische Orientierung, geht jetzt wirklich mehr nach rechts, was ich sehr beunruhigend finde.
 
Wenn wir jetzt über den Nationalsozialismus reden, über den 80. Jahrestag der Befreiung, dann merke ich bei mir selbst, wie so eine Distanz reinkommt, weil das irgendein ein historisches Überschriften-Thema ist.
 
Ich weiß nicht, ob ich durch meine Führungen durch die Gedenkstätte etwas bewirken kann. Aber ich hoffe, dass ich bei den Schülern bewirken kann, dass sie sich mehr mit diesem Thema befassen. Das Thema rückt in den Köpfen immer mehr in den Hintergrund. Viele Schüler wissen auch gar nicht, was passiert ist und wollen sich damit überhaupt nicht befassen. Ich höre auch, wie man den Nationalsozialismus ein bisschen verherrlicht, was ich erschreckend finde. Und ich hoffe, dass ich den Schülern näherbringen kann, dass das passiert ist und dass so was auch unter Umständen noch mal passieren könnte, wenn wir nicht aufpassen.

Die meisten Gruppen, die ich hatte, waren eigentlich interessiert. Sie waren vielleicht ein bisschen motivationslos, aber das ist in Ordnung. Ich hatte eine Gruppe, die wirklich sehr schwierig war, die den Ort auch überhaupt nicht mit Respekt behandelt hat. Und ich muss sagen, ich bin kein erfahrener Guide. Ich wusste nicht, wie ich mit der Situation richtig umgehen soll. Die Lehrer haben da auch nichts gemacht. Wie genau ich jetzt mit so einer Situation umgehe, muss ich noch lernen. Wie man eine Grenze setzt, die Führung eventuell abbricht. Aber in dem einen Fall habe ich versucht, die Schüler darauf hinzuweisen, dass das, was sie machen, nicht in Ordnung ist. Hier wurden Leute terrorisiert und ermordet und ihr macht hier irgendwie Faxen, versucht Fußball zu spielen mit einem Stein. Das passt hier nicht hin. Dann haben sie aufgehört.
 
Was mich beeindruckt ist tatsächlich, dass es bei jeder Gruppe von Schülern, die ich rumgeführt habe, immer neue Fragen gab. Mir wurde noch nie die gleiche Frage zweimal gestellt. Und ich finde es super interessant, zu sehen, was für verschiedene Eindrücke die Schüler von der Gedenkstätte haben. Es gibt Schüler, die haben keinen Bock darauf, die sind motivationslos. Es gibt Schüler, die sind so emotional berührt, dass sie weinen müssen. Es gibt Schüler, die sind sehr interessiert und stellen ganz, ganz viele Fragen, auf die ich manchmal keine Antwort habe.

Es gibt zwei Orte, an denen ich jetzt selbst nach dem halben Jahr und jeden Tag auf dem Gelände immer noch so ein mulmiges Gefühl habe. Das ist zum einen der Zellenbau. Dort wurden damals Häftlinge, die man noch mal doppelt bestrafen wollte, inhaftiert. Und sie mussten tagelang in den Zellen im Dunkeln stehen. Sie wurden dort gefoltert, sie wurden aufgehängt, geschlagen. In den Zellenbau gehe ich wirklich sehr, sehr ungern. Deswegen gehe ich da mit den Gruppen auch nicht hin, weil ich mir denke, wenn es mir schon Sorgen macht, wie soll es da Neunt-Klässlern gehen, die da langlaufen?
 
Der zweite Ort ist die sogenannte Station Z. Das ist der Ort der Massenvernichtung. Mir kommt dann immer in den Kopf: Ich stehe jetzt hier gerade an einem Ort, wo Menschen Leid erfahren haben, wo sie auf grausamste Weise ermordet wurden und gestorben sind.

Sendung: Fritz, 22.04.2025, 14:20 Uhr