Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im Bundestag nach der gescheiterten Kanzlerwahl. (Quelle: dpa/Kay Nietfeld)

Brandenburg Berlin Merz wird erst im zweiten Anlauf Kanzler - überraschte und besorgte Reaktionen

Stand: 06.05.2025 17:41 Uhr

Friedrich Merz ist am Dienstag zum Bundeskanzler gewählt worden - doch der CDU-Chef bekam die nötigen Stimmen erst im zweiten Wahlgang. Politiker aus der Region reagierten überrascht auf den historischen Vorgang.

  • CDU-Chef Friedrich Merz erst im zweiten Durchgang zum Bundeskanzler gewählt
  • Politiker in Berlin und Brandenburg überrascht von Scheitern im ersten Durchgang
  • Berlins Regierender Bürgermeister appellierte an Abgeordnete: müssen sich Verantwortung bewusst sein
  • Oppositionsparteien sehen mangelnden Rückhalt für Merz

CDU-Chef Friedrich Merz ist im zweiten Anlauf im Bundestag zum zehnten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden. Er erhielt am Dienstag in geheimer Abstimmung 325 Ja-Stimmen. Das waren neun Stimmen mehr als die nötige Mehrheit von 316. Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD haben zusammen 328 Sitze im Parlament.
 
Im ersten Wahlgang war Merz noch gescheitert: Er hatte zunächst nur 310 Stimmen und damit sechs weniger als nötig erhalten. Damit scheiterte zum ersten Mal in der bundesdeutschen Geschichte ein Kanzlerkandidat im ersten Wahlgang.

Politikerinnen und Politiker aus Berlin und Brandenburg haben überrascht auf das Scheitern von Merz im ersten Durchgang reagiert.
 
Das sei zweifelsohne kein guter Start für diese Koalition, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und weiter: "Es ist keine Zeit für Machtspielchen Einzelner auf Kosten der Stabilität unseres Landes". Der Koalitionsvertrag trage den Titel "Verantwortung für Deutschland" - und genau dieser Verantwortung müssten sich jetzt alle Abgeordneten bewusst sein. Deutschland und Europa bräuchten jetzt Klarheit und Verlässlichkeit, so Wegner: "Die Koalitionsparteien stehen gemeinsam in der Pflicht, ihr Versprechen einzulösen - mit einer stabilen, handlungsfähigen Regierung."
 
Auch Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) appellierte an die Bundestagsabgeordneten, in einem zweiten Wahlgang für Friedrich Merz als Bundeskanzler zu stimmen. Sie halte es "gerade auch in der Woche des Gedenkens an 80 Jahre Kriegsende für extrem wichtig, dass das Signal gesetzt wird, dass wir aus der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt in der Lage sind, eine handlungsfähige, stabile Bundesregierung aufzustellen." Alle, die daran mitwirkten, müssten sich dieser Verantwortung bewusst sein, so Giffey: "Ich glaube, das wäre nicht nur für Deutschland im Inneren, sondern auch für das, was im internationalen Kontext von uns erwartet wird, sehr wichtig, und ich hoffe, dass wir hier bald Klarheit haben."
 
Die Berliner Grünen-Abgeordnete Renate Künast sieht einen "massiven Autoritätsverlust" für Merz. "Das hängt ihm am Nacken, das wird er nicht mehr los", sagte sie im Bundestag der ARD. Es spreche einiges dafür, einen weiteren Wahlgang jetzt nicht hinauszuzögern. "Wir wollen wissen, ob Herr Merz eine Mehrheit hat", betonte Künast. Zudem brauche das Land Entscheidungen.

Katherina Reiche (CDU), designierte Bundesministerin fuer Wirtschaft und Energie, aufgenommen im Rahmen der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages zwischen SPD, CDU und CSU in Berlin, 05.05.2025. (Quelle: dpa/Photothek Media Lab/Florian Gaertner)
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Der brandenburgische CDU-Fraktionschef Jan Redmann sieht eine künftige Bundesregierung von Union und SPD trotz der Niederlage von Friedrich Merz im ersten Versuch nicht beschädigt. "Ich sehe weiterhin, dass diese Koalition gut zusammenarbeiten kann", sagte Redmann in Potsdam. "Das ist etwas, was sicherlich den Tag der Kanzlerwahl auch trübt und ist auch kein guter Start, das ist völlig klar", so Redmann. Aber in den Bundesländern habe es das wie etwa bei der Wahl von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) schon häufiger gegeben. "Das sollte man nicht überbewerten."
 
Die Brandenburger SPD-Abgeordnete Maja Wallstein, die seit 2021 für den Wahlkreis Cottbus - Spree-Neiße im Parlament sitzt, sagte dem rbb am Dienstag, die Lage sei "nicht witzig". Es gehe auch um die Außenwirkung und darum, dass die politischen Verhältnisse in Deutschland stabil sein sollten. Sie sei davon ausgegangen, dass Merz im ersten Wahlgang gewählt werde, auch wenn er nicht der Wunschkanzler der SPD sei. Für Politik und Demokratie seien aber Kompromisse wichtig. Wallstein sagte, es habe nicht an den Sozialdemokraten gelegen, dass die Wahl gescheitert sei.
 
Isabelle Vandré (Linke), die über die Landesliste Brandenburg 2025 in den Bundestag gelangte, sprach von einem historischen Tag. Das Ergebnis des ersten Wahlgangs sei der verfehlten Politik von Merz und SPD-Chef Lars Klingbeil geschuldet, sagte sie dem rbb. Es sei überraschend, dass Merz nicht einmal in den Fraktionen von Union und SPD genügend Rückhalt habe. Sie erwarte, dass es jetzt eine klare Absage an den Rechtsruck innerhalb der Gesellschaft gibt. SPD und Union müssten jetzt aus diesem Wahlgang Rückschlüsse ziehen.

Lars Klingbeil (l-r), SPD-Vorsitzender und designierter Bundesfinanzminister und Vizekanzler, Natalie Pawlik, designierte Staatsministerin und Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, Stefanie Hubig, designierte Bundesjustizministerin, SPD-Vorsitzende Saskia Esken, Bärbel Bas, designierte Bundesarbeits- und Sozialministerin, Verena Hubertz, designierte Ministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Reem Alabali-Radovan, designierte Ministerin für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Boris Pistorius, geschäftsführender und designierter Verteidigungsminister, Elisabeth Kaiser, designierte Staatsministerin und Beauftragte für Ostdeutschland, Carsten Schneider, designierter Bundesumweltminister, und Matthias Miersch, Generalsekretär der SPD, stehen bei der Vorstellung der SPD-Ministerinnen und -minister für das zukünftige Bundeskabinett im Euref-Campus auf der Bühne am 05.05.2025.(Quelle: picture alliance/dpa/Michael Kappeler)
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Nach Ansicht von René Springer, AfD-Abgeordneter und seit 2024 Vorsitzender der Partei in Brandenburg, ist die CDU/SPD-Koaltion nicht regierungsfähig. "Diese Koalition ist ein Kartenhaus, das bereits beim Aufbau wackelt", sagte er laut einer Mitteilung. Die Regierung sei fragil und werde "mit Sicherheit nichts Gutes" zustande bringen. "Und das ist das eigentliche Drama: Die Bürger erwarten Lösungen für die drängenden Probleme: eine funktionierende Wirtschaft, bezahlbare Energie, sichere Grenzen und soziale Stabilität. Doch mit dieser wackeligen Koalition wird es weiter bergab gehen."
 
Niels-Olaf Lüders, Landtagsfraktionschef des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Brandenburg, sprach von einer Bundesregierung, die gescheitert sei, bevor sie angefangen habe. "Die Aufrüstungspolitik von Friedrich Merz und eine Bundes-SPD, die sich von sozialdemokratischer Politik verabschiedet hat, haben in den eigenen Reihen offensichtlich keine Mehrheit", sagte Lüders.

Alle Fraktion im Bundestag für schnellen zweiten Wahlgang

Nach dem gescheiterten ersten Wahlgang hatte der Bundestag einen zweiten Wahlgang für die Wahl des Bundeskanzlers noch am Dienstagnachmittag angesetzt.
 
Einen so schnellen zweiten Wahlgang konnten Union und SPD nicht allein ansetzen, da sie zusammen keine Zweidrittelmehrheit haben. Andernfalls hätte der zweite Wahlgang frühestens am Freitag stattfinden können. Alle Fraktionen stimmten am Dienstagnachmittag für einen entsprechenden Geschäftsordnungsantrag, wie Bundestagspräsidentin Julia Klöckner mitteilte.
 
Um nicht auf Stimmen der AfD angewiesen zu sein, hatten Merz und der designierte Vizekanzler Lars Klingbeil das Gespräch mit den Grünen und auch mit den Linken gesucht. Mit letzteren hat die Union eigentlich einen Unvereinbarkeitsbeschluss, der "Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit" ausschließt. Letztlich stimmten nicht nur Abgeordnete von Union, SPD, Grünen und Linken dem zweiten Wahlgang zu, sondern auch AfD-Abgeordnete.

Sendung: rbb24 Inforadio, 06.05.2025, 17:00 Uhr
 
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