
Berlin Theatertreffen-Eröffnung: Ein eiskaltes Stück Unerbittlichkeitstheater
Eine Mutter sperrt ihre Töchter nach dem Tod des Vaters jahrelang ein: Der Eröffnungsabend des Berliner Theatertreffens, "Bernarda Albas Haus" aus Hamburg, ist harter Stoff. Aber beeindruckend inszeniert und gespielt. Von Fabian Wallmeier
In Zeitlupe kommen sie leicht vornüber gebeugt hereingeschlichen. Mutter Bernarda und ihre allesamt erwachsenen Töchter in schwarzer Trauerkleidung betreten zu unheilschwangerem Dröhnen das Esszimmer, daneben die grau gewandeten Bediensteten die Küche. Der Vater der Familie ist gestorben - und die Mutter hat nun verfügt, dass die Töchter in acht Trauerjahren das Haus nicht verlassen dürfen.
"Bernarda Albas Haus" hat der spanische Dichter und Dramatiker Federico García Lorca 1936 vollendet, wenige Wochen, bevor er von den Faschisten ermordet wurde. Eine Überschreibung von Alice Birch hat nun am Freitagabend in der Inszenierung von Katie Mitchell vom Deutschen Schauspielhaus in Hamburg das Berliner Theatertreffen 2025 eröffnet - im Haus der Berliner Festspiele.

Missgunst ist die Regel
"Herzlich willkommen im Abgrund", sagte Festspiel-Intendant Matthias Pees in seiner Eröffnungsrede. Er meinte damit allerlei Gesellschaftliches und Politisches, aber eben auch diese Eröffnungsinszenierung. Pees hat damit nicht zu viel versprochen. Einen so trostlosen und zugleich in seiner Trostlosigkeit so präzise inszenierten Theaterabend bekommt man selten zu sehen. Katie Mitchell hat einen von der Außenwelt abgeriegelten, klaustrophobischen Mikrokosmos erschaffen, in dem Missgunst und Intrigen die Regel sind, in dem jede der Frauen auf sich gestellt ist.
Schon vor zehn Jahren zeigte sich die Zusammenarbeit von Katie Mitchell und Alice Birch als ausgesprochen fruchtbar, ebenfalls mit der düsteren weiblichen Leidensgeschichte: In "Ophelias Zimmer" ersannen sie an der Berliner Schaubühne ähnlich unheimlich und eisig eine Hintergrundgeschichte zu Ophelia, der als Wasserleiche endenden Geliebten von Hamlet aus William Shakespeares gleichnamigem Drama. Und vier Jahre später inszenierte Mitchell in Hamburg eindringlich und präzise montiert Birchs Depressions-Drama "Anatomie eines Suizids", was den beiden eine Einladung zum Theatertreffen 2020 einbrachte (wo die Inszenierung pandemiebedingt allerdings nur als Stream gezeigt werden konnte).

Katie Mitchell
Kunstvoll parallel montiert
"Bernarda Albas Haus" schlägt in eine ähnliche Kerbe - und macht von einem von Mitchells einprägsamsten Stilmitteln Gebrauch: der Parallelmontage. Immer wieder werden zwei Gespräche an unterschiedlichen Stellen gleichzeitig geführt. Während etwa in einem der oberen sieben Zimmer der zweistöckigen Setzkasten-Bühne zwei Schwestern reden, spricht unten im Esszimmer die Mutter mit einer Vertrauten.
Die Dialoge überlappen sich nicht, sondern greifen wie Zahnräder ineinander. In die Gesprächspause unten fällt ein gesprochener Satz oben und umgekehrt. Das ist beeindruckend exakt gearbeitet und fordert höchste Aufmerksamkeit beim Zuhören und Zuschauen. Besonders weil alle Schauspielerinnen über Microports verstärkt sind und man oft nicht zuordnen kann, wer welchen Satz spricht.
Zu zusätzlichen Irritationen lässt Mitchell es kommen, wenn an manchen Stellen plötzlich Worte und kurze Sätze gedoppelt werden, indem zwei Figuren an zwei unterschiedlichen Orten gleichzeitig sie im Chor sprechen. Das hat einen enorm unheimlichen Effekt und ist schauspielerisch und inszenatorisch herausragend geformt. Nur für einen Augenblick blitzen da mögliche Anknüpfungspunkte auf - doch bevor man ihnen nachspüren kann, ist der Abend schon ein Stück weiter.

Das Patriarchat lebt weiter
Besonders einprägsam ist Julia Wieninger als Matriarchin Bernarda. Sie schreit und flucht so eiskalt beherrscht, dass es einen schaudern lässt. Bernarda speit Hass und schreckt vor Gewalt nicht zurück: Vom Gewehr macht sie ohne mit der Wimper zu zucken Gebrauch - und wenn eine Tochter nicht spurt, bekommt sie die Hand in den heißen Wasserkocher gesteckt. Die Brutalität des Patriarchats findet in Bernarda nach dem Tod ihres Mannes keinen Gegenpol. Sie lässt die vergifteten Strukturen ungemindert weiterleben.
Eine Art Ausweg hat einzig Bernardas Mutter Maria (Bettina Stucky) gefunden. Doch auch der könnte trauriger kaum sein: Er führt in die Demenz und die schleichende Selbstaufgabe. Maria liegt zu Beginn auf ihrem Bett, krallt sich an einem Stofftier fest und wirft sich lautlos hin und her. Später tigert sie mit Schleier auf dem Kopf durchs Haus, der festen Überzeugung, dass ihre Hochzeit ansteht. In anderen Inszenierungen könnte eine solche Figur eine Art Comic Relief bieten - bei Mitchell rammt sie uns alle nur noch ein Stück tiefer in die Traurigkeit.
Männer tauchen im Stück nur am Rande auf, Text hat keiner von ihnen. Eine zentrale Figur ist zumindest Peter (Joël Schnabel) trotzdem. Gleich zu Beginn steht er rauchend unten vor dem vergitterten Hof. Peter ist ständiger Gesprächsgegenstand der Frauen im Haus. Die älteste Tochter Angustias (Alberta von Poelnitz) soll ihn heiraten, weil sie als Erbin die beste Partie ist. Doch die jüngste Tochter Adele liebt ihn am meisten - und in dieser Liebe, von Linn Reusse in inniger Intensität dargeboten, liegt der einzige kleine Hoffnungsschimmer. Doch als Adele und Peter in der Nacht vor Angustias' Hochzeit sich von beiden Seiten ans Gitter reiben und miteinander schlafen, setzt das eine Kette von Geschehnissen in Gang, die den Abend in tödlichster Trostlosigkeit enden lassen.
Noch im vergangenen Jahr stand am Anfang des Theatertreffens ein opulenter siebenstündiger Ultrakitsch, in diesem Jahr nun das komplette Gegenteil: Katie Mitchells "Bernarda Albas Haus" ist ein auf 90 Minuten reduziertes, eiskaltes Stück Unerbittlichkeitstheater. Was das für den gesamten Theatertreffen-Jahrgang bedeutet? Ein Theatertreffen in Moll hat die Jury bereits in Aussicht gestellt. Doch kann Moll nicht auch in wohliger Melancholie die Seele wärmen? Davon kann hier keine Rede sein. Vielleicht ein Zeichen der Zeit, in der wir leben, und ihres Abbilds im Theaterjahr, das sich nun in der Jury-Auwahl fortführt. Aber ein bisschen wohliger darf das Festival schon auch in diesem Jahr noch werden.