Benjamin Netanjahu

Vorgehen im Gazastreifen Nun rückt auch die Opposition von Netanjahu ab

Stand: 20.05.2025 15:18 Uhr

Aus dem Ausland mehrt sich die Kritik an Israels Vorgehen im Gazastreifen - und nun greift auch die Opposition die Netanjahu-Regierung scharf an. Ihr gehe es weniger um strategische Ziele, sondern ums politische Überleben.

An Yair Golans Fähigkeiten, militärische Zusammenhänge zu verstehen, gibt es keinen Zweifel: Lange diente der heute 63-Jährige in den israelischen Streitkräften, zuletzt war er Generalmajor und stellvertretender Generalstabschef.

Doch das Interview mit dem israelischen Sender KAN, das nun hohe Wellen schlägt, hat Golan als Politiker gegeben. Er sitzt im israelischen Parlament und führt dort das linke Oppositionslager an.

Und während Israels Opposition bisher eher zurückhaltend war mit der Kritik an der Kriegsführung im Gazastreifen, hat sich das nun offenbar geändert: "Das Kriegsziel, die militärischen Fähigkeiten der Hamas zu zerstören, haben wir bereits im Mai und Juni letzten Jahres erreicht. Seither gibt es in diesem Krieg immer weniger strategische Ziele und immer mehr politische, nämlich das politische Überleben der Regierung", analysiert Golan.

Schwere Luftangriffe und Bodentruppen

Der Vorwurf, der da im Raum steht, wird auch von israelischen Menschenrechtsorganisationen schon länger geäußert. Demnach geht es in diesem Krieg, nach dem Terrorangriff aus dem Gazastreifen vom 7. Oktober 2023, schon lange nicht mehr um Selbstverteidigung. Dass die Befreiung der verschleppten Geiseln nicht mehr die oberste Priorität ist, hat inzwischen auch Premierminister Benjamin Netanjahu gesagt. Dennoch werden seit vergangener Woche wieder schwere Luftangriffe auf das Küstengebiet geflogen, Bodentruppen rücken vor, Menschen werden vertrieben, Hunderte wurden in den vergangenen Tagen getötet.

Glaubt man Yair Golan und anderen, dann dient diese Kriegsführung vor allem dem Ziel, Netanjahus Regierung zusammenzuhalten. Seine rechtsextremen Koalitionspartner planen die Wiederbesiedlung des Gazastreifens und die massenhafte Vertreibung von Palästinensern. "Israel ist auf dem Weg, ein Paria-Staat zu werden, ein Südafrika, wie wir es früher kannten, sollte es nicht einen anderen Weg einschlagen und sich wieder wie ein vernünftiger Staat benehmen." Ein vernünftiger Staat führe keinen Krieg gegen eine Zivilbevölkerung, töte keine Kinder und setze sich auch nicht die Vertreibung der Bevölkerung als Ziel, sagte Golan.

Kritik aus dem Ausland an Netanjahus Regierung

Yair Golans Äußerungen fallen in eine Zeit, in der immer mehr Staaten die Geduld mit Israel verlieren. Zuletzt hatten Frankreich, Großbritannien und Kanada in einer gemeinsamen Erklärung mit "konkreten Maßnahmen" gedroht, sollte Israel seine Beschränkungen für Hilfslieferungen nicht aufheben. Mehr als elf Wochen hatte Israel keine Nahrungsmittel in das Gebiet gelassen.

Nun kamen erstmals wieder fünf Lkw-Ladungen in den Gazastreifen. Die Vereinten Nationen bezeichnen das als Tropfen auf den heißen Stein - auch die Verteilung ist noch unklar.

Auch Tamir Heyman vom israelischen Institute for National Security Studies sieht sein Land in der Pflicht: "Wir können nicht sagen, dass die Verantwortung bei jemand anderem liegt. Die Situation, in der ein Staat absichtlich für eine Hungersnot sorgt, wird als Kriegsverbrechen gewertet. Das wäre nicht einfach so an uns vorbeigegangen. Zuerst einmal hätte es für ein Ende des Krieges gesorgt, aber darüber hinaus hätte es viel schwerwiegendere Folgen haben können, einen Handelsstopp und Sanktionen, die in der Regel nur bei völlig korrupten Staaten angewendet werden", kritisiert Heyman.

Kollektive Bestrafung der Gaza-Bewohner

Ob es doch noch zu solchen Sanktionen kommt, hängt auch davon ab, ob sich die humanitäre Lage im Gazastreifen verbessert.

Regierungspolitiker scheinen indessen immer noch auf das Prinzip der kollektiven Bestrafung der Bevölkerung des Gazastreifens zu setzen. Avihai Baron, ein Abgeordneter aus Netanjahus Likud-Partei, sagte dem Radiosender Kol Berama: "Die Bevölkerung des Gazastreifens ist nicht naiv. Die gesamte Bevölkerung unterstützt den Terror. Das ist der giftige Boden, auf dem die Terrororganisation Hamas wächst und gedeiht. Sie ernährt sich davon, nicht nur metaphorisch, sondern auch physisch gesehen. Die neuen Terroristen, die Rekruten, die die leerer werdenden Reihen der Hamas auffüllen, sind die Jugendlichen des Gazastreifens."

Wie mit dieser Haltung einerseits der von Israel als Kriegsziel ausgegebene totale Sieg über die Hamas gelingen soll - und gleichzeitig die humanitäre Katastrophe in Gaza aufgehalten werden kann, ist unklar. Israels Regierung setzt nun ohnehin darauf, dass Hunderttausende das völlig zerstörte Gebiet bald verlassen. Sie nennen es "freiwillige Ausreise".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 20. Mai 2025 um 12:35 Uhr.