
Pläne der neuen Regierung Neuer Streit über die Lieferkettenrichtlinie?
Die neue Regierung will das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz abschaffen, so steht es im Koalitionsvertrag. Doch Kanzler Merz reicht das offenbar nicht.
Es sind zwei Paar Schuhe, und doch berühren sie dasselbe Thema: das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und die europäische EU-Lieferkettenrichtlinie. Beide verpflichten Unternehmen dazu, ihre Lieferketten auf diverse Richtlinien wie beispielsweise Menschenrechte und Umweltauflagen zu überprüfen und zu dokumentieren.
Für Unternehmen bedeute das einen enormen Aufwand, kritisieren viele Firmen, und fordern deshalb eine Abschaffung oder Abschwächung des Gesetzes und der Richtlinie.
Bundesregierung will deutsches Gesetz abschaffen
Die neue Bundesregierung möchte laut Koalitionsvertrag bis Ende 2025 die Bürokratie für Unternehmen mit einem "Sofortprogramm für den Bürokratieabbau" signifikant reduzieren. Ein Fokus dabei soll sein, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz abzuschaffen und durch ein Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung zu ersetzen.
Die Berichtspflicht, die nach dem bisherigen Gesetz notwendig war, soll sogar unmittelbar abgeschafft werden. Falls Unternehmen die aktuell geltenden Sorgfaltspflichten nicht einhalten, sollen Sanktionen nur bei massiven Verletzungen der Menschenrechte auferlegt werden - bis dann ein neues Gesetz in Kraft tritt. Das aktuelle Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gilt seit dem 1. Januar 2024 für Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten.
Tübinger Maschinenbauer atmet auf
Für Unternehmen wie die Paul Horn GmbH aus Tübingen ist diese Ankündigung ein lang geforderter politischer Schritt. Der Maschinenbauer stellt Präzisionswerkzeuge für verschiedene Branchen wie die Autoindustrie oder die Medizintechnik her. Geschäftsführer Markus Horn ist schon seit Beginn ein Kritiker des Gesetzes: "Hier wurde ein sogenanntes Bürokratiemonster erschaffen." Die Grundidee des Gesetzes finde er zwar gut und erstrebenswert. Aber er sagt auch: "Die Umsetzung war und ist weder praktikabel, verhältnismäßig noch zielführend und lässt uns im weltweiten Wettbewerb zurückfallen."
Horn zeigt sich überzeugt, dass die allermeisten Betriebe im Maschinenbau verantwortungsvoll sowie nachhaltig denken und handeln, wo es nur möglich sei. Ein Wegfall des Gesetzes wäre für den Tübinger Unternehmer deshalb nur logisch und würde Zeit und Geld sparen. Beides könnte für Produktentwicklung oder Markterschließung genutzt werden. Und das würde eine längerfristige Stärkung der globalen Wettbewerbsfähigkeit bedeuten.
Unterstützung bekommt Horn dabei von der baden-württembergischen Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut. Auch sie sieht in dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und in der damit verbundenen Nachhaltigkeitsberichterstattung eine unzumutbare Bürokratie für Unternehmen. Man müsse eine solche Regulatorik immer auch zu Ende denken, sagt sie und stellt in Frage, dass es in diesem Fall zu einer wirklichen Verbesserung in der Praxis führe.
EU-Lieferkettenrichtlinie gilt weiterhin
Was für deutsche Unternehmen auch nach einer möglichen Abschaffung des nationalen Gesetzes weiterhin gilt, ist die EU-weite Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD). Erst im Frühsommer 2024 war sie in Kraft getreten, Deutschland hatte sich bei der Verabschiedung auf Drängen der FDP enthalten.
Bis 2026 müssen die EU-Staaten die Richtlinie umsetzen. Diese wird dann gestaffelt bis 2029 auf immer mehr Unternehmen angewendet - zuletzt auch für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und über 450 Millionen Euro Nettoumsatz pro Jahr. "Konzeptionell baut die CSDDD auf dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz auf", so das Bundesumweltministerium im Mai 2024.
Merz will auch EU Richtlinie kippen - SPD ist dagegen
Für Bundeskanzler Friedrich Merz ist auch deshalb die Abschaffung des deutschen Gesetzes allein nicht genug. Bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel am Freitag forderte er von der EU, Abstand von der aktuellen Richtlinie zu nehmen, und legte damit zu den Beschlüssen im Koalitionsvertrag noch einen drauf. "Wir werden in Deutschland das nationale Gesetz aufheben. Ich erwarte auch von der Europäischen Union, dass sie diesen Schritt nachvollzieht und diese Richtlinie wirklich aufhebt." Die Antwort von der EU-Kommission kam direkt: Es gehe um eine Vereinfachung, sagte eine Sprecherin. "Es geht nicht darum, sie abzuschaffen."
Auch vom Koalitionspartner SPD kommt Gegenwind. Der SPD-Europaabgeordnete René Repasi erteilte einer Abschaffung der EU-Richtlinie eine klare Abfuhr. Man sei für Änderungen aber offen. Auch der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil pocht darauf, dass man im Koalitionsvertrag ausschließlich das deutsche Gesetz kippen wollte und von der EU-Richtlinie nicht die Rede gewesen sei. Es ist eine offen ausgetragene Uneinigkeit auf europäischer Bühne. Für die Koalitionäre dürfte der Streit über die Lieferkettenrichtlinie noch nicht vorbei sein.
Neues Gesetz muss einfacher sein
Markus Horn aus Tübingen von der Paul Horn GmbH hat für eine solche Vereinfachung den klaren Wunsch, dass man beispielsweise nur eine Stufe in der Lieferkette dokumentieren muss - die direkt angrenzende beziehungsweise die direkt vorgelagerte Stufe.
Außerdem sollte es seiner Meinung nach eine klare Definition der Länder geben, aus welchen Lieferanten dann nicht mehr geprüft werden müssten. Für ihn sei aber allein die Aufhebung des deutschen Gesetzes eine große Hilfe, vermeide sie doch derzeit geltende Doppelstrukturen.