
Matratzen-Recycling Wie eine Ressource in Rauch aufgeht
Matratzen-Recycling ist möglich, aber es wird nicht gemacht. So geht Jahr für Jahr tonnenweise wertvolles Material verloren, mit dem man neue Matratzen herstellen könnte.
Wie man sich bettet, so liegt man - zehn oder zwölf, manchmal auch 15 Jahre auf der gleichen Matratze. Dann muss sie weg und eine neue her. Gerne vereinbart man bei der Lieferung, das alte schwere Ding gleich mitnehmen zu lassen, und von dem Moment an ist das durchgelegene Schlaflager vergessen.
Doch mit Schlafen hat das alte Sprichwort gar nicht viel zu tun, sondern mit Verantwortung. Wie man sich bettet, so liegt man: Das will sagen, dass Entscheidungen, die man trifft, Konsequenzen in der Zukunft haben - und da sind wir wieder bei unserer alten Matratze und dem, was damit passiert, nachdem sie im Lkw verschwunden ist.
Thomas Probst vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE) geht von bis zu elf Millionen Matratzen aus, die in Deutschland jedes Jahr entsorgt werden müssen. Höchstens fünf Prozent davon werden irgendeiner Form der Wiederverwendung zugeführt. Alle anderen, also mehrere Hunderttausend Tonnen, werden verbrannt.
Schaum wird neuer Schaum
Dabei gibt es Verfahren, die Recycling von Matratzen möglich machen. Die BASF in Ludwigshafen hat in einem Pilotversuch eine Methode entwickelt, in einem Depolymerisierungsverfahren aus gebrauchtem Matratzenschaum wieder hochwertige Polyole (organische Verbindungen) herzustellen.
In einem chemischen Prozess werden die Schäume aufgetrennt und wieder in die Ausgangsstoffe umgewandelt, die bei der Neuherstellung von sogenannten PU-Schäumen gebraucht werden. Das ist ressourcenschonend, da ansonsten meist Erdöl für die Produktion solcher Schäume eingesetzt wird. BASF-Sprecherin Valeska Schößler erklärt, dass "die Matratzen mit äußerst geringem Qualitätsverlust hergestellt werden, so dass es im Vergleich zu fossil hergestellten Matratzen kaum Unterschiede gibt".
Allerdings ist der Pilotversuch mit kleiner Stückzahl längst schon wieder beendet, und industriell im großen Stil wird Matratzen-Recycling derzeit in Deutschland nirgendwo betrieben. "Das Interesse in der ganzen Industrie an neuen Lösungen ist generell vorhanden. Allerdings erfordert diese Umstellung Investitionen in Recyclingkapazitäten, welches zu einem höheren Marktpreis führt. Dies stößt derzeit noch auf sehr wenig Akzeptanz im Markt", so die BASF-Expertin. Dabei wäre es ein Leichtes, bei entsprechenden Investitionen auch größere Mengen zu verarbeiten.
Bundesratsinitiative aus Hessen
Genau das möchte das Land Hessen jetzt mit einer Bundesratsinitiative anstoßen. Darin soll die Bundesregierung aufgefordert werden, sich bei der Europäischen Kommission im Rahmen der Ökodesign-Verordnung für Matratzen-Recycling einzusetzen und durch entsprechende Gesetzgebung die Hersteller in die Verantwortung für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft zu nehmen. Angeregt wird auch ein digitaler Produktpass für Matratzen, der Recyclingbetrieben alle nötigen Angaben über Bestandteile und Verarbeitung der Produkte mitgibt und die Wiederverwertung vereinfacht.
Beim Fachverband Matratzen-Industrie, der 70 Prozent der deutschen Hersteller vertritt, rennt Hessen damit offene Türen ein. Verbandssprecherin Claudia Wieland nennt es "ein wichtiges Anliegen" und betont, dass der Verband in der Vergangenheit auch nicht untätig war. Im Jahr 2022 hätten sich die Mitglieder einstimmig zur "Erweiterten Herstellerverantwortung" bekannt - ein Konzept, bei dem Hersteller über den gesamten Lebenszyklus ihres Produktes für dessen Umweltbelastung verantwortlich sind.
"Ebenfalls Ende 2022 haben wir gemeinsam mit der Abfallwirtschaftsgesellschaft der Stadt Wuppertal sowie einem privaten Recyclingunternehmen ein Real-Labor Matratzen-Recycling an den Start gebracht." Vier Tonnen Matratzen seien gesammelt, sortiert, analysiert und zum Teil recycelt worden.
Bislang keine Unterstützung
Seit einem Jahr bemühe sich der Verband um die Finanzierung einer Demonstrationsanlage für die weitestgehend automatisierte Zerlegung und Sortierung von alten Matratzen. Das sei die Voraussetzung, damit die jeweiligen Materialien so hochwertig wie möglich recycelt werden können. Doch bisher gab es für die Idee keine Unterstützung: "Trotz intensiver Bemühungen und dem Austausch mit politischen Entscheidern auf Landes- und Bundesebene haben wir dafür bislang keine Förderung bekommen."
Politische Hilfe ist aber offensichtlich ein Muss bei dem Thema, weil niemand aus eigenen Stücken die Produktionskosten in die Höhe treiben möchte. "Wir befinden uns in wirtschaftlich sehr herausfordernden Zeiten", so die Sprecherin, "das gilt so uneingeschränkt auch für die Matratzen-Industrie. Insofern ist es für die Hersteller von Matratzen - aber auch für die anderen Akteure entlang der Wertschöpfungskette - nicht einfach, ihre Prozesse hin zur Kreislaufwirtschaft umzubauen, denn das ist immer mit Investitionen verbunden."
Kreislaufwirtschaft vereinfachen
Ein erster Schritt könnte allerdings sein, Matratzen herzustellen, die von vornherein eine Kreislaufwirtschaft vereinfachen. Claudia Wieland nennt vier Faktoren:
- Die Komponenten, aus denen ein Matratzenkern besteht, so zusammensetzen, dass sie am Ende der Lebensdauer leicht wieder voneinander getrennt werden können. Dazu gehören auch "schaltbare" Klebstoffe, die sich unter vorbestimmten Temperaturen von selbst wieder lösen.
- Die Zahl der verwendeten Komponenten so weit wie möglich reduzieren, also auf verschiedene Schaumlagen verzichten.
- Mehr nachwachsende Rohstoffe wie beispielsweise Rosshaar verwenden.
- Neue, innovative Polyesterfasern nutzen, die sich einfach einschmelzen und zu neuen Fasern verarbeiten lassen.
Deutschland könnte mit der hessischen Initiative im Bundesrat Boden gegenüber anderen europäischen Ländern gutmachen. "Belgien, Frankreich und die Niederlande sind uns ein paar Jahre voraus", sagt Wieland. "Verbraucher zahlen hier schon beim Kauf eines Möbelstückes die Gebühr für die spätere Entsorgung und das Recycling mit, die auch gesondert auf dem Preisschild ausgewiesen wird." Doch werde dort mit entsprechenden Konzepten auch das Problem der Abholung gleich mitgedacht.
Nicht jede Matratze recyclebar
Recyclingbetriebe sind darauf angewiesen, relativ saubere Matratzen angeliefert zu bekommen. Nur solche seien für chemisches Recycling geeignet. Gemischter Sperrmüll am Straßenrand, feucht und verschmutzt, liefere kein geeignetes Ausgangsmaterial. Thomas Probst vom BVSE meint, sogar schon Matratzen, die eine längere und intensive Gebrauchsphase erlebt haben, seien wegen Hygienevorgaben nicht mehr für eine chemische Wiederverwertung geeignet.
"Für solche PU-Matratzen ist die thermische Nutzung sinnvoll" - sprich: die Verbrennung in einem Müllheizkraftwerk. Auch für mechanisches Recycling seien relativ saubere Matratzen, wie Rückläufer, unverkaufte Examplare, Restposten oder Herstellungsabfälle notwendig. Diese könnten zerlegt als Füllstoffe für Dämmungen oder Matten verwendet werden.
Das Ende schon am Anfang mitdenken
Dreh- und Angelpunkt für eine Kreislaufwirtschaft bei Matratzen scheint eine gesetzliche Verpflichtung zur Verwendung nachhaltiger Produktionsbestandteile zu sein. Das Ende einer Matratze muss schon am Anfang mitgedacht werden. Selbst wenn ab sofort nur noch nachhaltige Matratzen produziert würden, würde aufgrund der Nutzungsdauer von Matratzen deren Entsorgung noch viele Jahre ein Problem darstellen.
Aber ein erster Schritt ist mit dem Entschließungsantrag im Bundesrat zumindest auf dem Weg. "Generell halten wir es für einen wichtigen Schritt, dem Matratzen-Recycling auf der politischen Bühne mehr Beachtung zu schenken, denn wir sind der Auffassung, dass es der aktiven Unterstützung dieses Prozesses durch die Politik bedarf", sagt Claudia Wieland vom Branchenverband.
Hohe Qualität bei recycelten Matratzen
Und was ist aus den Testmatratzen von der BASF geworden? Die gingen alle an ein konzerneigenes Hotel in Ludwigshafen. "Das Hotel René Bohn hat sich dazu verpflichtet, die natürlichen Ressourcen auf jeder Ebene der Dienstleistungen zu schonen", so ein Hotelsprecher. "Die Erfahrungen mit den Matratzen sind durchweg positiv: Wir haben als Projekt in einigen Zimmern mit den Matratzen begonnen und die Gäste dazu befragt. Das Feedback der Gäste war hier so positiv, dass wir die restlichen Twin-Zimmer mit den Matratzen ausgestattet haben."
Sollte der erste Gehversuch beim Recyceln von Matratzen zum Dauerlauf werden und es für die Industrie eine Verpflichtung dazu geben, werden sich die Matratzenkäufer damit anfreunden müssen, dass sie sich künftig etwas teurer betten - aber vielleicht ja mit etwas besserem Gewissen liegen.