
Rheinland-Pfalz Die Nazis ließen ihren Mann sterilisieren - 98-Jährige setzt Zeichen
Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg in Deutschland. Herta Kaiser-Grimm aus Speyer wuchs in der NS-Zeit auf. Heute engagiert sie sich bei den "Omas gegen Rechts".
Herta Kaiser-Grimm steht vor ihrem Elternhaus in Speyer und zeigt mit zittriger Hand auf ein Transparent, das an der Fassade hängt. In großen Lettern steht darauf geschrieben: "Nie wieder ist JETZT". Zwei Mal, erzählt die 98-jährige Seniorin, habe man ihr das Transparent schon abgerissen. Zwei Mal habe sie es wieder aufgehängt.
Social-Media-Beitrag auf Instagram:
Angst hat sie keine: "Was soll mir jetzt noch passieren mit 98. Ich sterbe sowieso bald, ob die mich jetzt noch vielleicht von hinten totstechen oder sowas, kann auch sein."
"Dass sowas nicht wieder passiert"
Wir gehen mit ihr ins Haus und setzen uns an den Tisch im Esszimmer. Vor ihr steht eine Tasse Tee. Auf der Nähmaschine neben ihr hängt eine Warnweste mit dem Aufdruck "OMAS GEGEN RECHTS". Später wird sie die Weste anziehen und mit ihrem Rollator zu einem Treffen der Speyerer Ortsgruppe der Initiative gehen.
Warum engagiert sie sich? Herta Kaiser-Grimm sagt:
Dass sowas nicht wieder passiert, was wir 1933 erlebt haben. Da hat es angefangen. Herta Kaiser-Grimm
Zwangssterilisation durch die Nazis
Vor ihr auf dem Tisch liegen viele Fotos aus ihrer Vergangenheit. Auf ihnen ist ihr verstorbener Ehemann zu sehen, Josef Kaiser. Herta Kaiser-Grimm und er haben 1945 nach Kriegsende geheiratet. Da war Josef Kaiser 24 Jahre alt und gezeichnet von der Zeit des Nationalsozialismus.
Über sein Schicksal hat der pensionierte Lehrer Michael Lauter ein Buch geschrieben. Es heißt: "Der schwarze Kaiser". Josef Kaiser war ein uneheliches Kind.
"Nach dem Ersten Weltkrieg sind die Franzosen ins Rheinland mit etwa 25.000 Kolonialsoldaten eingezogen. Josef Kaiser war der Sohn einer Speyerer Mutter und eines Soldaten aus Madagaskar. Diese Kinder wurden damals schon als Rheinlandbastarde benannt", erklärt der Autor.
In seinem Buch beschreibt Michael Lauter, wie schwer es Josef Kaiser hatte. Der Junge, der durch seine Hautfarbe auffiel, durfte keine Ausbildung machen und trat im Zirkus auf, zusammen mit Kleinwüchsigen, damit das Publikum etwas zum Staunen hatte. 1937 wurde Josef Kaiser zwangssterilisiert.
Kinderwunsch blieb unerfüllt
Michael Lauter sagt und blickt auf Herta Kaiser-Grimm: "Nicht nur ihr Mann war ein Opfer, sondern auch sie war ihr ganzes Leben lang immer ein Opfer der Nationalsozialisten gewesen. Ihr größter Wunsch, der Kinderwunsch, konnte nicht erfüllt werden und das ist für sie – glaube ich – ein Trauma gewesen, ihr ganzes Leben lang."
Herta Kaiser-Grimm fängt an zu weinen. Sie erzählt, dass ihr Mann bis zu seinem Lebensende von Selbstzweifeln geplagt war und sich für seine Hautfarbe geschämt habe:
Er hat sich immer mit Kernseife gewaschen, mit der man die Wäsche gebürstet hat, weil er gedacht hat, die Haut wird ein bisschen weißer. Herta Kaiser-Grimm
Mit brüchiger Stimme beschreibt sie, wie er immer im Schatten gelaufen ist, damit seine Haut nicht noch dunkler wird.
Stolperstein für Josef Kaiser
Seit 2022 gibt es für Josef Kaiser und seine Schwester Stolpersteine in Speyer. Herta Kaiser-Grimm zieht ihre Warnweste an und macht sich auf den Weg. Die Sonne scheint, es ist ein freundlicher Tag in Speyer. In einem Wohngebiet treffen sich die "Omas gegen Rechts". Herta Kaiser-Grimm geht mit ihrem Rollator voran und legt vier Rosen an den Stolpersteinen ab. Die anderen Frauen stehen in einem Halbkreis um sie herum.

Eine von ihnen, Renate Herrling, berichtet uns: "Frau Kaiser-Grimm ist wirklich ein Geschenk. Sie hat ja lange Zeit nichts erzählt oder keiner hat sie gefragt. Ich denke, dass sie dann plötzlich gefragt wurde nach ihrer Lebensgeschichte, hat sie auch nochmal ins Leben gebracht."
"Haut ist Haut, ob sie weiß ist oder schwarz"
Herta Kaiser-Grimm stützt sich auf ihren Rollator und schaut zu den Stolpersteinen herunter: "Ich werde auf dieser Welt nicht mehr lange bleiben, ich bin jetzt 98."
Sie zeigt in den Himmel und ergänzt mit zitternder Stimme: "Aber wenn ich zu ihm komme, werde ich ihm das alles erzählen, dass er es heute schöner hätte. Haut ist Haut, ob sie weiß ist oder schwarz. Der Mensch ist immer derselbe."
Sendung am Sa., 3.5.2025 4:15 Uhr, Landesschau Rheinland-Pfalz, SWR RP