
Nordrhein-Westfalen TikTok-Heiler: Eine kaum kontrollierte Gefahr
In sozialen Netzwerken gibt es eine Flut unseriöser Gesundheitstipps. Einige Ärzte und die Verbraucherzentrale stellen sich ihr entgegen.
Tipps zur Heilung bei Krebs? Die sind bei Instagram und TikTok schnell zu finden. Zum Beispiel Ernährungstherapien, Ratschläge wie "Eigenurin ist das ultimative Heilmittel" oder die Empfehlung, auf Hitze-Bestrahlung zu setzen, anstatt auf Chemotherapie. Solche Ratschläge werden täglich neu gepostet, Hunderttausende sehen sie auf TikTok oder Instagram.
Gemeingefährliche Ratschläge
"Im schlimmsten Fall führt das dazu, dass jemand stirbt, statt zu überleben", sagt Sebastian Alsleben. Er ist Hausarzt in einer Gemeinschaftspraxis in Solingen. Und selbst Influencer zu Medizinthemen, ein "Medfluencer". Er will nicht nur zuschauen und versucht, der Flut an unseriösen Gesundheitstipps etwas entgegen zu setzen.

Sebastian Alsleben, Hausarzt und "Medfluencer"
Denn er sagt: Viel zu oft werde online die Schulmedizin verteufelt, obwohl sie erwiesenermaßen hilft. Geteilt werden stattdessen Einzelerfahrungen oder offenkundiger Humbug, der nur dazu diene, etwa Nahrungsergänzungsmittel zu verkaufen. Weil diese Ratschläge aber für manche den Arztbesuch ersetzten, seien sie gemeingefährlich.
Studie: Unter jungen Leuten folgen 40% Medfluencern
Die aktuelle Jugendstudie aus Österreich zeigt: Fast 40 Prozent der 15- bis 25-Jährigen folgen Gesundheits-Influencern, 31 Prozent haben schon mal ein von ihnen empfohlenes Produkt gekauft. Für Deutschland gibt es solche Studien noch nicht, der Einfluss der "Medfluencer" dürfte aber ähnlich groß sein.
Diese Woche warnt deshalb die Ärztekammer Nordrhein: "TikTok ersetzt keine ärztliche Behandlung." Sie sieht bei "selbsternannten Gesundheitsexperten" online "Risiken – von falschen Diagnosen bis hin zu gesundheitsgefährdenden Empfehlungen". Die Ärztekammer fordert deshalb mehr Regulation, von Seiten der Netzwerke und staatlichen Institutionen.
Vier Verbraucherschützer gegen die Flut
Mehr Regulierung wünscht sich auch Susanne Punsmann von der Verbraucherzentrale NRW. Die Juristin arbeitet dort im Team "Faktencheck Gesundheitswerbung". Mit drei weiteren Kollegen auf zweieinhalb Stellen ist sie für Beschwerden zu unseriösen "Medfluencern" zuständig - bundesweit. "Es ist eine riesige Flut, gegen die wir da ankämpfen", sagt Punsmann.

Juristin Susanne Punsmann, Verbraucherzentrale NRW
Etwa 2.000 Meldungen von Verbrauchern gebe es jährlich. Fast alle seien berechtigt. Aber: "Wir haben einfach nicht die Kapazitäten, gegen jeden einzelnen Verstoß vorzugehen", sagt Punsmann. Nur etwa jeden 20. Verstoß könne das Team an Aufsichtsbehörden wie Ärztekammern weiterleiten, nur 20-30 unseriöse Anbieter könne sie selbst pro Jahr abmahnen. Auch Punsmann wünscht sich deshalb noch eine andere zentrale staatliche Aufsichtsbehörde.
Gefährliche Tipps allein, sind nicht strafbar
Neben der Personalknappheit hat die Verbraucherzentrale ein weitere Grenze: Zuständig ist sie nur für Verstöße gegen Werberichtlinien. Wenn Medfluencer ohne Verkaufsinteresse Unsinn verbreiten, kann sie kaum dagegen vorgehen.
Gegen ausgebildete Ärzte, die online unseriöse Tipps oder Verkaufshinweise verbreiten, kann auch die Ärztekammer vorgehen. Doch schon für Medizinstudenten ist auch sie nicht mehr zuständig. Und wer ohne medizinische Ausbildung gefährliche Tipps verbreitet, ist kaum zu reglementieren.
Landesregierung sieht kein Kontrolldefizit
Anders als in anderen kritischen Online-Themenfeldern - wie zum Beispiel bei Pornographie - sind auch der Landesanstalt für Medien NRW die Hände gebunden. Die LfM scheint bereit hier aktiv zu werden, hat aber keine Zuständigkeit im Bereich des Heilmittelwerbegesetzes, schreibt sie auf Westpol-Anfrage: "Sollte der Gesetzgeber in der Zukunft entscheiden, uns eine Zuständigkeit zuzuteilen, werden wir entsprechende Verstöße selbstverständlich in unsere Aufsichtstätigkeit aufnehmen."
Doch die NRW-Landesregierung sieht Westpol gegenüber kein Kontrolldefizit. Sie betont nur: Grundsätzlich sei Aufklärung im Bereich Medienkompetenz wichtig - und sieht die Plattformen in der Verantwortung, gefährliche Inhalte zu entfernen.
Ärzte haben zu wenig Zeit für Aufklärung
Und so hängt es erstmal weiter an Ärzten wie Sebastian Alsleben, der Flut an unseriösen und teils gefährlichen Tipps wissenschaftlich fundierte Ratschläge entgegen zu setzen. Als "Teil dieser Bubble" fühle er sich einfach verpflichtet, Verantwortung zu übernehmen, sagt er im Interview mit dem WDR. Zugleich wünscht er sich, dass Ärzte mehr Zeit erhalten und sich mehr Zeit nehmen – um Patienten aufzuklären. Damit die seltener das Bedürfnis entwickeln, sich online zu informieren.
Und dann macht er seinen Ringlicht an, steckt das Handy ein und beginnt ein neues Aufklärungsvideo. In dem er erklärt, was bei bestimmten Erkrankungen wirklich helfen kann.
Unsere Quellen:
- Interview Sebastian Alsleben
- Interview Verbraucherzentrale
- Youth Survey Österreich (2024)
- Pressemeldung der Ärztekammer Nordrhein
- Anfragen bei den zuständigen Landesministerien
- Landesanstalt für Medien NRW
- Die Plattformen TikTok und Instagram
Über dieses Thema berichten wir auch im WDR-Fernsehen: am Sonntag, 11.5.2025, um 19.30 Uhr in der Sendung Westpol.