
Nordrhein-Westfalen Nach Stolper-Start: Neue Bundesregierung vereidigt
Beim zweiten Versuch hat es geklappt: Friedrich Merz ist vom Bundestag zum Kanzler gewählt worden. Er bekam 325 Stimmen, 316 waren nötig. Im ersten Wahlgang hatte Merz nicht die nötige Mehrheit erreicht.
Die Anspannung vor dem zweiten Wahlgang war groß, nachdem Friedrich Merz überraschend im ersten Wahlgang gescheitert war. Entsprechend war die Erleichterung bei Union und SPD, als Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) verkündete, dass der zweite Versuch erfolgreich war.

Friedrich Merz bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Merz nahm die Wahl im Bundestag an. Als einer der ersten gratulierte danach der scheidende Bundeskanzler Olaf Scholz. Im Anschluss fuhr Merz ins Schloss Bellevue, wo Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ihm die Ernennungsurkunde überreichte. Von dort ging es dann zurück zum Bundestag, wo er seinen Amtseid ablegte. Merz ist damit jetzt der zehnte Bundeskanzler der Bundesrepublik.
Historische Niederlage im ersten Wahlgang

Merz nach dem verlorenen ersten Wahlgang
Die Koalition aus CDU, SPD und CSU hat 328 Stimmen im Bundestag, für die Wahl von Merz als Kanzler waren 316 Stimmen nötig. Im ersten Wahlgang bekam er aber nur 310 Stimmen - und fiel damit durch. Das gab es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bisher noch nie. Die Kanzlerwahl ist geheim – wer Merz seine Stimme verweigerte oder aus welcher Partei die Abweichler kamen, ist nicht bekannt.
Unionsfraktionschef Jens Spahn hatte vor dem zweiten Wahlgang an die Verantwortung der Abgeordneten appelliert: "Ganz Europa, vielleicht sogar die ganze Welt, schaut auf diesen zweiten Wahlgang."
Die Angst vor einer längeren Hängepartie war groß. Damit der zweite Wahlgang am selben Tag stattfinden konnte, war vorher eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag notwendig. Die kam mit Unterstützung von der Linken und den Grünen zustande.
"Im Interesse des Landes, dass Sie Erfolg haben"

Merz erhält seine Ernennungsurkunde
Am frühen Dienstagabend hat Bundespräsident Steinmeier auch die Minister des neuen Kabinetts auf Schloss Bellevue ernannt. In einer Ansprache bezog er sich kurz auf die schiefgegangene erste Wahl im Bundestag: "In der Demokratie verlaufen manche Tage mit mehr Aufregung als von der Öffentlichkeit erwartet", so Steinmeier.
Steinmeier sprach außerdem die vielen aktuellen Krisen an: "Es ist – ich sage das so klar – im Interesse unseres Landes, dass Sie Erfolg haben." Im Anschluss wurden auch alle Ministerinnen und Minister im Bundestag vereidigt. Im Laufe des Abends kam das Kabinett dann zum ersten Mal zusammenkommen. Auch erste Ministerien wurden schon übergeben.
Warum brauchte es eine Zwei-Drittel-Mehrheit, um einen zweiten Wahlgang durchzuführen?
Für einen zweiten Wahlgang musste Friedrich Merz erneut als Kanzler vorgeschlagen werden. Nach so einem Vorschlag sieht die Geschäftsordnung des Bundestags eine Frist von drei Tagen bis zu einer Abstimmung vor.
So lange wollten Union und SPD aber nicht warten – eine schnellere Abstimmung ist aber nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag möglich. Deshalb wurden die Grünen und auch die Linke gebeten, einen schnelleren zweiten Wahlgang mitzutragen. Das haben die auch gemacht – und so wurde die erneute Wahl am selben Tag möglich.
Pikant: Eigentlich schließt die CDU gemeinsame Abstimmungen mit der Linken aus, das wurde auf einem Parteitag beschlossen – davon ist die Partei jetzt abgewichen.
Was könnten die Gründe sein, dass Abgeordnete der Koalition Merz die Stimme verweigerten?
"Da die Wahl geheim war, kann man da nur spekulieren", sagte Anja Köhler vom ARD-Hauptstadtstudio. Bislang hat sich auch niemand als Abweichler zu erkennen gegeben.
"Jetzt schon schieben sich CDU/CSU und SPD gegenseitig die Schuld zu und sagen: Aus den eigenen Reihen haben alle selbstverständlich mit Ja gestimmt", so Köhler.
Vielen Abgeordneten sei nicht klar gewesen, was sie mit einer "Stimme der Enttäuschung oder des Denkzettels" auslösen könnten, vermutet CDU-Politiker Mathias Middelberg im phoenix-Interview zu dem gescheiterten ersten Wahlgang. Er gehe davon aus, "dass der eine oder andere Mal ein bisschen Frust ablassen wollte".
Welche Reaktionen gibt es aus NRW?
Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) gratulierte Merz auf X: "Mit ihm kommt der zweite Kanzler aus Nordrhein-Westfalen – und einer, der für den Politikwechsel steht, den Deutschland braucht", schreibt Wüst dort mit Blick auf den ersten deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer, der auch aus NRW kam.
Wüst äußerte sich in der "Rheinischen Post" aber auch zu dem verlorenen ersten Wahlgang. Die Menschen in Deutschland und die Partner in Europa hofften auf eine stabile Regierung, so Wüst. "Im Angesicht epochaler Herausforderungen wird es dabei auf jeden einzelnen Abgeordneten der Koalition ankommen."
Kritik an "vergeigter Kanzlerwahl"
Aus der NRW-Landespolitik äußerte sich auch Tim Achtermeyer, Vorsitzender der NRW-Grünen: "Die vergeigte Kanzlerwahl ist ein Desaster", sagte er nach dem ersten Wahlgang.
"Jetzt rächt sich, dass Friedrich Merz im Wahlkampf auf Polarisierung gesetzt hat. Das hat offenkundig tiefe Narben hinterlassen. CDU und SPD müssen sich jetzt dringend zusammenraufen und Friedrich Merz muss zusammenführen", so Achtermeyer.
"Am heutigen Tag feixen die politischen Ränder - weil die demokratische Mitte es nicht schafft, geschlossen Verantwortung zu übernehmen", sagte FDP-Landes- und Fraktionschef Henning Höne. "Friedrich Merz geht mit einem Misstrauensvotum in eigener Sache in die Geschichte ein."
Er könne nachvollziehen, dass es in der Koalition schon jetzt Unzufriedenheit mit Merz gibt: "Der Koalitionsvertrag liest sich wie ein sozialdemokratisches Regierungsprogramm", so Höne. "So wird das nichts mit einer Wirtschaftswende."
Unsere Quellen:
- Livestream aus dem Bundestag
- WDR-Interview mit Anja Köhler vom ARD-Hauptstadtstudio im WDR-Fernsehen: "WDR aktuell", 12.45 Uhr
- Nachrichtenagentur dpa
- Reaktionen NRW-Landespolitiker per Pressemitteilungen
Über dieses Thema berichten wir am 06.05.2025 auch im Hörfunk und im Fernsehen bei WDR aktuell