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Terror der RAF Angehörige im Schatten der Mörder

Stand: 17.05.2025 08:31 Uhr

50 Jahre ist es her, dass in Stammheim der Strafprozess gegen die Terroristen der ersten Generation der RAF begann. Der Terror prägt das Leben der Familien der Opfer bis heute.

Von Holger Schmidt, SWR, ARD-Terrorismusexperte und Thomas Schneider, SWR

"Ich habe meine Waffe genommen und bin in Richtung deutscher Grenze gefahren", erzählt Orm Kranenburg. Die Worte kommen ihm nicht leicht über die Lippen. Er erzählt zum ersten Mal von diesem Moment, sagt er später. Auch seine Partnerin Diana, die beim Interview für die SWR-Dokumentation dabei sitzt, wusste bislang nicht, wie furchtbar der Rachegedanke ihres Freundes hätte enden können. Orm Kranenburg wollte den Mörder seines Vaters töten. Sein Ziel damals: Der RAF-Terrorist Knut Folkerts. Sein Motiv: Rache. Knut Folkerts hatte im Herbst 1977 im Verlauf der "Schleyer-Entführung" Arie Kranenburg erschossen, Orms Vater.

Was wie der Anfang eines Kriminalromans klingt, ist wirklich passiert, versichert Kranenburg. Er war damals Polizist in den Niederlanden, hatte eine Dienstwaffe und konnte die Adresse von Knut Folkerts in einer Datenbank recherchieren. Doch auf dem Weg zur Grenze, sagt Orm, sei ihm klar geworden, dass er mit seiner Rache seinen Kindern das angetan hätte, was ihm selbst widerfahren ist: Eine Jugend als Halbwaise, kein Vater, der beim Fußballtraining am Spielfeldrand steht oder etwas Ordnung in wilde Vorstellungen eines Teenagers bringt.

Sein Vater starb, als er im Herbst 1977 als Streifenpolizist versuchte, den Terroristen Knut Folkerts festzunehmen und dieser einen Revolver zog und versuchte, sich den Weg frei zu schießen. Folkerts wurde festgenommen, doch Arie Kranenburg starb.

Im Schatten der Mörder

Das Leben ohne Vater und der gewaltsame Verlust verbindet Orm Kranenburg mit vielen Angehörigen von Opfern der RAF. Während die Täter "lebenslang" ins Gefängnis mussten und dann doch nach langen Haftstrafen wieder in Freiheit kamen, verloren die Kinder der Opfer tatsächlich für ihr weiteres Leben einen wichtigen Teil ihrer Familie.

Sabine Reichel aus Ettlingen (Landkreis Karlsruhe) erinnert sich bis heute an das Fußballspiel, das sie albernd mit ihrem Vater Georg Wurster auf der Couch angesehen hatte und nicht wusste, dass es die letzte gemeinsame Erinnerung sein würde. Am Morgen darauf ging Georg Wurster zur Arbeit. Als Leiter der Fahrbereitschaft des Generalbundesanwalts war er eigentlich im Innendienst. Doch zufällig saß er am 07. April 1977 im Fond des Fahrzeugs, in dem Generalbundesanwalt Siegfried Buback und sein Fahrer Wolfgang Göbel ermordet wurden. Georg Wurster wurde schwer verletzt und starb wenige Tage später im Krankenhaus.

"Ich kann die Täter nicht hassen", sagt Sabine Reichel. Denn der Hass würde sie nur selbst kaputt machen. Nur Frieden mit ihren Erinnerungen und Fragen würde sie gerne finden. Doch dazu gehört die Frage, wer genau die Person war, die ihren Vater erschossen hat. Viel spricht dafür, dass es RAF-Terrorist Stefan Wisniewski war. Doch Klarheit darüber verweigern die Täter von damals, die der Staat längst zurück ins Leben gelassen hat.

Weißer Nebel über der Erinnerung

Clais von Mirbach war in einem ähnlichen Alter wie Sabine Reichel, doch er erinnert die Stunden vor dem Tod seines Vaters nicht genau. "Ein weißer Nebel" habe sich über seine Erinnerungen gesenkt, erzählt er und vermutet, dass es wohl eine Art Selbstschutz seines Erinnerungsvermögens gewesen sei. Sein Vater Andreas von Mirbach war Offizier der Bundeswehr und als Militärattaché Diplomat an der bundesdeutschen Botschaft in Stockholm, als diese im April 1975 von einem RAF-Kommando überfallen wurde.

Andreas von Mirbach wurde von den Terroristen als Kontaktmann gegenüber der schwedischen Polizei und der Bundesregierung genutzt. Doch als diese ein Ultimatum der Terroristen folgenlos verstreichen ließ, wurde er mit fünf Schüssen in Arme, Beine und Kopf tödlich verletzt. "Unnötig grausam", sei das gewesen, sagt sein Sohn Clais von Mirbach und beklagt, dass auch er nicht wisse, wer letztlich die tödlichen Schüsse auf seinen Vater abgegeben habe. Denn die Täter, die selbst die Nazi-Verbrechen der Generation vor ihnen angeprangert hatten, "schweigen wie die SS: Meine Ehre ist meine Treue!".

Trotzdem für Gnade

Ein wenig älter als Orm Kranenburg, Sabine Reichel und Clais von Mirbach ist Hanns-Eberhard Schleyer. Er war bereits als Rechtsanwalt tätig, als sein Vater, Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, 1977 von der RAF entführt wurde. Als erwachsener Sohn hatte er einerseits eigenen Handlungsspielraum und versuchte unter anderem mit juristischen Mitteln, seinen Vater mit einem Antrag vor dem Bundesverfassungsgericht zu retten.

Doch blieb er so ohnmächtig angesichts der Gnadenlosigkeit der Täter, wie die Kinder der anderen Opfer. Bis heute hält er die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für inhaltlich falsch und politisch motiviert. Doch das hat ihn nicht daran gehindert, später selbst in politischer Verantwortung im Land Rheinland-Pfalz, Gnadengesuche von Ex-Terroristen zu befürworten.

Mehr zu diesem Thema sehen Sie in der Doku "Im Schatten der Mörder" am 19. Mai im Ersten und jederzeit in der ARD Mediathek. Um das Thema geht es auch im Podcast "Sprechen wir über Mord - mit den Kindern von RAF Opfern" in der ARD Audiothek.