Felix Nmecha jubelt nach seinem Treffer während des Fußball-Bundesligaspiels zwischen Borussia Dortmund und Borussia Mönchengladbach
Kontext

Vorwurf der Missionierung Religiöse Fußball-Influencer für Evangelikale

Stand: 21.05.2025 15:06 Uhr

Christliche Influencer nutzen Fußball-Profis für ihre Missionsarbeit auf Social Media. Einige von ihnen haben Verbindungen zu evangelikalen Organisationen mit teils fragwürdigen Ansichten.

Von Pascal Siggelkow und Christian Saathoff, Redaktion ARD-faktenfinder

Als der HSV am vorvergangenen Wochenende den Aufstieg in die erste Bundesliga perfekt machte, jubelte HSV-Spieler Davie Selke auf bemerkenswerte Weise. Bilder nach dem Abpfiff zeigen ihn mit einem Shirt bekleidet, auf dem in großen Lettern "Jesus is King" (Jesus ist König) steht.

Schon in der Vergangenheit hat Selke offen über seinen Glauben gesprochen - und ist damit nicht allein. Viele Profifußballer bekennen sich öffentlich zum Christentum: etwa mit besonderem Torjubel, wie Nationalspieler Chris Führich vom VfB Stuttgart, mit christlichen Symbolen oder Statements auf der Kleidung, wie Brasiliens National-Torhüter Allisson Becker. Auch auf Social Media bewerben viele von ihnen ihren Glauben.

Kritik an Profi Felix Nmecha

Noch weiter geht DFB-Nationalspieler Felix Nmecha von Borussia Dortmund. Er hatte in der Vergangenheit mehrfach mit Inhalten auf seinem Social-Media-Kanal für Aufsehen gesorgt, die Kritiker als homophob und queerfeindlich interpretierten. Unter anderem hatte er auf Instagram ein Bild geteilt, in dem das Wort "Pride" mit dem Teufel in Verbindung gebracht wird. Gegen den Vorwurf der Diskriminierung verteidigte sich Nmecha später in einem Instagram-Post auch mit Verweis auf seinen Glauben an Jesus Christus. Gottes Liebe sei für alle.

"Kurze Zeit vor der Verpflichtung von Nmecha hat der BVB noch einen großen Aktionstag gegen Queerfeindlichkeit veranstaltet", sagt Julia Monro, Beraterin für geschlechtliche Vielfalt und Vorstandsmitglied im LSVD⁺-Verband Queere Vielfalt. "Als Fan habe ich mich deshalb von meinem Verein verraten gefühlt." Sie wuchs eigenen Angaben zufolge selbst in einem evangelikalen Haushalt auf. Sie kritisiert, Queerfeindlichkeit und die untergeordnete Rolle der Frau seien in vielen evangelikalen Gemeinden verbreitet.

Nmecha hat außerdem Verbindungen zu mehreren Vereinigungen, die auf Instagram und TikTok mit dem Thema Fußball für den christlichen Glauben werben. Eine davon ist der Verein "Fußball mit Vision". Bekannt wurde er unter anderem mit einer Marketing-Kampagne zur Fußball-Europameisterschaft 2024, bei der Fußballprofis wie Nmecha, Selke und Maxence Lacroix über ihre persönliche Beziehung zu Jesus Christus sprechen. Erklärtes Ziel dieser Kampagne war es, mit diesen Botschaften etwa beim Public Viewing für den christlichen Glauben zu werben.

"Fußball mit Vision" tritt in Schulen auf

Außerdem wirbt der Verein aktiv darum, in Schulen und Sportvereine eingeladen zu werden - und lockt mit der Aussicht darauf, dass Kinder und Jugendliche dabei mit einem Profifußballer über seinen Glauben sprechen können. Offensiv betriebene Missionsarbeit ist laut Maren Freudenberg ein typisches Merkmal des Evangelikalismus, eine größtenteils konservative, protestantische Strömung innerhalb des Christentums. Die Religionssoziologin forscht am "Center for Religious Studies" der Ruhr-Universität Bochum.

"Es wird als göttlicher Auftrag aufgefasst, Menschen zum 'richtigen Glauben' zu bekehren, um so viele Seelen wie möglich zu erlösen", sagt Freudenberg. Ansonsten drohten große Qualen für Sündiger. "Deswegen sehen Evangelikale es als Lebensaufgabe an, nicht nur die eigene Seele durch die Bekehrung zu retten, sondern auch andere für diesen Glauben zu gewinnen.

Screenshot des Internetauftritts von "Fussball mit Vision"

Ein Screenshot des Internetauftritts von "Fußball mit Vision".

Ähnlich sieht es Martin Fritz, wissenschaftlicher Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen: "Der Druck ist groß, möglichst viele Menschen mit der Botschaft zu konfrontieren." Des Weiteren sei der Evangelikalismus von einer wörtlichen Auslegung der Bibel und von Dualismus geprägt: "Diese starke Frömmigkeit steht dem modernen Zeitgeist entgegen: auf der einen Seite der Kreis der Gläubigen, auf der anderen Seite eine vermeintlich gottlose Gesellschaft."

Auf Nachfrage des ARD-faktenfinders schreibt Manuel Bühler, Vorstandsmitglied vom Verein "Fußball mit Vision": "In unseren Schulen gibt es bekanntlich den Fachbereich Religion, in dem Glaubensthemen besprochen und thematisiert werden. Für diesen Fachbereich bietet unser Angebot ein absolutes Highlight, das von Lehrkräften und Schülern sehr dankbar angenommen wird und sehr positives Feedback erhält."

Internationale Influencer: "Ballers in God"

Ähnlich wie "Fußball mit Vision" sind auch die "Ballers in God" in den Sozialen Netzwerken aktiv. Gegründet vom ehemaligen Profi John Bostock, haben die "Ballers" allein auf Instagram mehr als eine halbe Million Follower. Auch auf diesem Kanal werden beinahe täglich Glaubensbekenntnisse aktiver Profifußballer gepostet und von diesen teilweise geliket und kommentiert.

"Wir sind uns bewusst, dass wir als Spieler eine große Chance haben, Menschen mit unseren Plattformen zu beeinflussen und andere mit der Guten Nachricht von Jesus Christus zu erreichen", heißt es auf der Website. Dort gibt es zudem religiösen Merchandise zum Thema Fußball zu kaufen, zum Beispiel Armbänder oder Trikots.

Im gleichnamigen Podcast erzählen aktive und ehemalige Profifußballer, was ihnen ihr Glaube bedeutet. Auch Felix Nmecha war im Podcast schon zu Gast. Monro vermutet, dass die Fußballer dabei nicht bloß instrumentalisierte Aushängeschilder sind. "Ich glaube, dass sie Teil des Systems sind und das auch leben und solche Positionen auch wirklich vertreten." Auf Anfrage des ARD-faktenfinder reagierte Nmecha nicht.

Von Nmecha postet Gründer John Bostock vergangenen Sommer zudem auf Instagram ein Bild, auf dem er ein Shirt mit Glaubensbekenntnis trägt. Aus weiteren Bildern wird ersichtlich, dass Bostock das Champions League-Finale von Nmechas Verein Borussia Dortmund gegen Real Madrid im vergangenen Sommer besucht hat. Bostocks Begleiter im Stadion: Ben Fitzgerald. Bostock schreibt dazu: "Ich hatte endlich das Privileg, einen Bruder zu treffen, der mir und dem Körper Christi viel bedeutet. ... Ich liebe dich innig Ben Fitzgerald!" Auf Anfrage des ARD-faktenfinder reagierte Bostock nicht.

Ben Fitzgerald ist Vertreter der evangelikalen "Awakening Church", die seit einigen Jahren in der Nähe von Lörrach aktiv ist. Fitzgerald thematisiert in Videos, Podcasts und in seinen Predigten immer wieder, wie der Heilige Geist durch ihn spreche. Und er berichtet von Dämonen-Austreibungen und davon, wie Menschen in seinem Beisein anfangen, in Zungen zu sprechen.

Kritik an ultrakonservativem Weltbild

Solche vermeintlichen Wunderheilungen sind ebenso wie Exorzismen und Prophezeihungen laut Freudenberg typisch für den charismatischen Evangelikalismus und für die US-amerikanische "Bethel Church". Dort wurde Fitzgerald als Missionar ausgebildet. Die Kirche steht immer wieder in der Kritik, vor allem für ihr ultrakonservatives Welt- und Familienbild. So wirbt sie etwa offensiv für eine Vernetzung von Menschen, die sich nach eigener Darstellung von ihrer queeren sexuellen Identität losgesagt haben.

Freudenberg weist darauf hin: Fitzgerald vertrete eben nicht irgendeine Religion, sondern eine konservativ christliche Auslegung von Religiosität - mit Positionen gegen Abtreibung, Homo- und Transsexualität.

Martin Fritz kritisiert, die Kirche stünde für "Ablehnung von Aufklärung, von Moderne, vom liberalen Staat." Und: "Es herrscht ein krasser Supernaturalismus vor, die Maxime lautet: Wir führen ein übernatürliches Leben voller Wunder." Bei Wunderheilungen würde teils massiver Druck bei den Betroffenen entstehen anzuerkennen, dass bei ihnen eine Heilung stattgefunden habe. "Häufig wird da reine Realitätsverweigerung gefordert. Es werden Heilsversprechen gemacht, die einfach nicht haltbar sind."

Beide Experten wundert die Verbindung von Fitzgerald zu den "Ballers in God" nicht. Sie vermuten eine Strategie. Fritz und Freudenberg verweisen vor diesem Hintergrund auf das "Seven Mountain Mandate", einer Strömung, die bei Teilen der charismatisch-evangelikalen Bewegung zu finden sei. Ziel dieser Bewegung sei es, über Schlüsselfiguren in sieben gesellschaftlichen Bereichen wie Politik und Bildung, aber auch Medien und Unterhaltung Menschen zum Christentum zu bekehren. Zum Feld der Unterhaltung zähle auch der Sport.

Redner der Pfingstkirche ebenfalls als Influencer aktiv

Auch Vertreter der "Church of Pentecost Germany" (COP) sind als Glaubens-Influencer auf Social Media unterwegs, etwa auf den Kanälen von "God's Power Germany". Zu sehen sind auf dem Kanal ebenfalls hauptsächlich Bilder von Sportlerinnen und Sportlern, die sich zu ihrem Glauben bekennen. So auch HSV-Spieler Selke mit dem "Jesus is King"-Shirt. Auf Anfrage des ARD-faktenfinder wollte Selke sich nicht dazu äußern.

In Kurz-Videos geht es neben Glaubensbekenntnissen im Fußball auch um alltägliche Dinge. So wird zum Beispiel davor gewarnt, als gläubiger Christ Halloween zu feiern, da Satanisten den Tag nutzen würden, um böse Geister zu feiern. Der Host der Videos, Jakes Boakye, beantwortet außerdem Fragen dazu, ob man als Christ bestimmte Musik hören oder welche "weltlichen" Berufe man ausüben dürfe.

Neben seiner Tätigkeit als Host von "God's Power Germany" ist Jakes Boakye auch als Redner in Kirchen der COP Germany aktiv. Auf ihrer Website stellt der COP-Dachverband in einer Übersicht die Werte vor, die er vertritt. Dort heißt es unter dem Punkt "Kirchenkultur": "Homosexualität, Lesbentum und andere perverse Sexualpraktiken sind in der Kirche nicht gestattet" und: "Die Kirche vertritt die Lehre der Bibel und duldet nicht die Verbreitung falscher Lehren". Auch genaue Kleidervorschriften für Frauen, die die Kirche besuchen, werden aufgeführt.

Laut Fritz zeige sich an diesem Beispiel eine radikale Ausprägung von Dualismus und autoritarivem Charakter: "Dort ist das Falsche, hier das Richtige. Es gelten Kirchendisziplin, Respekt und Gehorsam gegenüber Autoritäten." Solche Vorschriften kenne man sonst eher aus bestimmten Strömungen des Islam. Mit solchen homophoben Äußerungen solle ein bestimmtes Milieu angesprochen werden, vermutet Freudenberg. Hier schließe sich gewissermaßen der Kreis: schließlich gebe es auch im Profi-Fußball nach wie vor ein hohes Maß an Homophobie, aller positiven Beispiele und Bemühungen zum Trotz.

Influencer weist Kritik von sich

Boakye schreibt auf Anfrage des ARD-faktenfinder, als Gastredner der COP respektiere er "die Vielfalt an Überzeugungen und Lebensentwürfen in unserer Gesellschaft". Er teile nicht alle Formulierungen oder Bewertungen des Dachverbands und distanziere sich ausdrücklich von diskriminierenden Aussagen oder Praktiken gegenüber einzelnen Personengruppen. "Für mich stehen Respekt, Menschenwürde und das Miteinander im Vordergrund", so Boakye.

Auch den Vorwurf der versuchten Missionierung mit den Social Media Kanälen von "God's Power Germany" weist er zurück: "Unsere Social Media Kanäle dienen in erster Linie der Information über Veranstaltungen, dem Teilen von Glaubenserfahrungen sowie der Förderung von Gemeinschaft. Die Inhalte richten sich an Menschen aller Altersgruppen, ohne gezielte Missionierung oder Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen."

Aufklärung empfohlen

Die Experten Fritz und Freudenberg warnen vor dem Einfluss solcher religiöser Fußball-Influencer. Fritz betont: in Deutschland herrsche zwar Religionsfreiheit, prinzipiell dürfe jeder für die eigene Religion werben. Die genannten Beispiele sehe er aber kritisch. Und: "Die Werbung bei jungen Menschen ist noch mal problematischer, weil ihnen gar nicht bewusst ist, was für eine Form von Christentum sie da antreffen."

Auch Monro warnt davor, dass junge Menschen hineingezogen werden in evangelikale Organisationen, um ihren Vorbildern nachzueifern. Dass evangelikale Profifußballer öffentlichkeitswirksam ihren Glauben bewerben und auch in Schulen und Vereinen auftreten, findet sie kritikwürdig. "Ein Profifußballer hat auch immer eine Vorbildfunktion. Und wenn Kinder und Jugendliche sehen, dass ihre Vorbilder immer wieder ihre Weltanschauungen äußern, dann beeinflusst sie das."

Auf Anfrage des ARD-faktenfinder schreibt der DFB: Man verurteile jegliche Form von Diskriminierung, Hass und persönlichen Angriffen - sowohl innerhalb als auch außerhalb der Teams. "Gleichzeitig respektieren wir die persönlichen Überzeugungen unserer Spieler:innen und setzen uns für einen offenen und respektvollen Dialog ein."

Freudenberg fordert mehr Medienkompetenz und sieht dabei die Schulen und auch die Universitäten in der Pflicht. Fritz sieht die Aufgabe zu mehr Aufklärung insbesondere im Religions- oder Ethik-Unterricht. Lehrer müssten sich dringend über religiöse Influencer kundig machen und mit ihren Schülern darüber ins Gespräch kommen.