
Stichwahl Wird ein Rechtsradikaler Präsident in Rumänien?
Diese Richtungsentscheidung ist weit über Rumänien hinaus wichtig: Setzt sich bei der Stichwahl um das Präsidentenamt ein Rechtsradikaler aus der Hooliganszene durch - oder ein Liberalkonservativer?
Auf der Piata Victoriei, dem Siegesplatz vor dem Regierungsgebäude in Bukarest, haben sich gut 10.000 Demonstranten versammelt. Sie schwenken blau-gelb-rote Rumänien-Fahnen und blaue EU-Fahnen. Sie skandieren: "Wir wollen Europa, wir wollen keine Diktatur!" Aus Boxen ertönt die Europa-Hymne mit rumänischem Text.
Der Protest richtet sich gegen George Simion, den 38-jährigen Chef der rechtsradikalen AUR-Partei. Er war bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl der mit Abstand Stärkste der elf Kandidaten und holte 41 Prozent der Stimmen.
Umfragen sagen Kopf-an-Kopf-Rennen voraus
Sein Herausforderer, der 55-jährige Mathematiker und parteilose Bürgermeister von Bukarest, Nicusor Dan, holte 21 Prozent. Der Liberalkonservative gilt als der klar pro-europäische Kandidat. Für die Stichwahl sehen die Umfragen ein knappes Kopf-an-Kopf-Rennen voraus.
Die Demonstranten sind besorgt. "Ich bin hier, weil Europa der Weg ist, den Rumänien gehen muss, wenn es sich weiter entwickeln will. Ich habe Angst, dass wir alles verlieren, wenn George Simion Präsident wird; alle EU-Projekte und unsere Glaubwürdigkeit", sagt Victor Pena, ein 35-jähriger Schriftsteller.
"Wenn dieser Typ Präsident von Rumänien wird, wäre das ein totales Desaster. Dann bin ich vielleicht nicht mehr hier", sagt Carmen Secareanu, eine 54-jährige Designerin.

In Bukarest protestieren die Menschen gegen George Simion.
Richtungsentscheidung mit Folgen für EU
Es geht um einen Richtungsentscheid in Rumänien, den auch die EU sehr ernst nehmen muss, so der rumänische Politik-Professor Cristian Pirvulescu.
Rumänien ist bislang eine liberale Insel, die an ein illiberales Meer angrenzt, mit Ungarn, der Slowakei, Serbien und Bulgarien. George Simion ist die Fortsetzung der traditionellen faschistischen Bewegung in Rumänien. Wenn er das Land illiberal macht, dann kann er das Gleichgewicht in Europa verändern. Deswegen ist das die wichtigste Präsidentschaftswahl in der Geschichte Rumäniens", so Pirvulescu.
Beleidigungen und Handgreiflichkeiten
George Simion kommt aus der Fußball-Hooliganszene. In seiner Anfangszeit im Parlament fiel er durch Beleidigungen und Handgreiflichkeiten auf, unter anderem hat er einen Minister am Rednerpult gewürgt. Doch jetzt ist er kontrollierter und gibt sich auch gemäßigter.
Er nennt sich selbst einen "sehr konservativen Politiker". Dabei hat Simion völkische Ansichten und wird von manchen Beobachtern als rechtsextrem eingestuft. Simion spricht sich für ein Rumänien in seinen alten Grenzen aus, für eine Vereinigung mit der Republik Moldau. Außerdem ist er gegen Klimapolitik und gegen LGBTQ-Rechte.

Einst Hooligan, bald Präsident? George Simion spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung.
Kampfansage an EU-Kommissionschefin
Im Wahlkampf hat er sich mit der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni von der postfaschistischen Fratelli d’Italia gezeigt und mit Politikern der rechtspopulistischen polnischen PiS-Partei.
Simion ist auch selbst nach Polen gefahren, um dort den aktuellen Präsidentschaftswahlkampf der PiS zu unterstützen. Als politisches Vorbild nennt er Donald Trump. Putin sieht er als Bedrohung, auch für Rumänien, doch gleichzeitig ist er gegen eine militärische Unterstützung der Ukraine.
Der rumänische Präsident ist mehr, als nur eine Repräsentationsfigur. Er ist auch für die Verteidigung, die Justiz und die Geheimdienste zuständig und vertritt das Land bei EU-Gipfeln. Da will Simion auf mehr Nationalstaat setzen.
"Die Europäische Union muss ein Bündnis aus 27 souveränen Staaten sein und kein föderaler Superstaat, wie ihn die Bürokraten aus Brüssel wollen. Ich werde mich der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen widersetzen", sagt Simion.

Der liberalkonservative Kandidat Nicusor Dan hofft auf möglichst viele Stimmen derjenigen Wähler, die im ersten Wahlgang unterlegene Kandidaten gewählt haben.
"Simion will Fundament der Menschenrechte zerstören"
Der bekannte Politik-Analyst und Uniprofessor in Bukarest, Pirvulescu, bezeichnet solche Aussagen als "weichgespült". Er sieht in Simion eine Gefahr für die EU. "Simions Blick auf Europa ist schlimmer als der des ungarischen Premiers Viktor Orban. Denn Simion will das Fundament der Menschenrechte zerstören."
Für besonders bedrohlich hält der Experte auch Simions Ankündigung, Calin Georgescu zum Premierminister machen zu wollen. Der parteilose Rechtsextremist hatte die erste Runde der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr gewonnen. Doch diese Wahl wurde annulliert und Georgescu disqualifiziert, wegen seiner intransparenten Wahlkampffinanzierung. Russland wurde verdächtigt, eine TikTok-Kampagne für Georgescu mitfinanziert zu haben.
Tatsächlich ist eine der ersten Aufgaben des neugewählten Präsidenten, einen neuen potenziellen Regierungschef zu finden und ihm den Regierungsbildungsauftrag zu geben. Denn Rumänien hat aktuell nur eine Übergangsregierung.
Premier Marcel Ciolacu ist Anfang Mai zurückgetreten, weil die als korrupt geltende Regierung aus sozialdemokratischer PSD, liberalkonservativer PNL und Ungarnpartei UDMR immer unbeliebter wurde und weil der gemeinsame Kandidat der Koalition bei der Präsidentschaftswahl scheiterte.
Dan - krasser Kontrast zu Simion
Als krasser Kontrast zu George Simion gilt sein Herausforderer Nicusor Dan. Er stellt die Wahl als Schicksalswahl für Rumänien dar.
Es ist kein Wettbewerb zwischen zwei Personen. Es ist ein Wettbewerb zwischen zwei Richtungen für Rumänien. Wollen wir in der Außenpolitik einen pro-westlichen Kurs oder einen anti-westlichen? Wollen wir eine offene Wirtschaft gegenüber ausländischem Kapital oder wollen wir uns abschotten und nicht mehr überlebensfähig sein? Und wollen wir im öffentlichen Raum eine Kultur des Dialogs oder eine Kultur des Hasses, so wie sie der Kandidat Simion propagiert?
Er muss auf möglichst viele Stimmen der Wähler der in der ersten Runde unterlegenen Präsidentschaftskandidaten hoffen - derjenigen, die einen rechtsradikalen Präsidenten in Rumänien verhindern wollen.