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Bildrechte: VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Kulturhauptstadt 2025 "European Realities": Ausstellung bringt Kunst der 1920er nach Chemnitz

27. April 2025, 03:00 Uhr

Die Ausstellung "European Realities" widmet sich den europäischen Realismusbewegungen der 1920er- und 1930er-Jahre. Im Museum Gunzenhauser werden rund 300 Werke aus verschiedenen Ländern Europas präsentiert. Sie zeigen: Die Neue Sachlichkeit war ein europäisches Phänomen, das auch von gegenseitigem Austausch lebte. Im Rahmen der Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 wird diese Kunstepoche erstmals in all ihrer Vielfalt präsentiert. Die Ausstellung eröffnet am 27. April und gilt als einer der Höhepunkte im Kulturhauptstadt-Programm.

Neue Sachlichkeit, Nové realismy, Nuovo Realismo: Fast überall in Europa ist in den 1920er- und 1930er-Jahren ein neuer Realismus in der Kunst zu beobachten. Die europäischen Realismusbewegungen der Zwischenkriegsjahre hatten viele Namen – und viele Gemeinsamkeiten. Das zeigt die Ausstellung "European Realities" im Museum Gunzenhauser, die sich im Rahmen der Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 erstmals dieser Kunstepoche in größerem Umfang widmet. Gezeigt werden rund 300 Werke von Künstlerinnen und Künstlern aus 20 Ländern.

Kiril Tsonev: Porträt Svetoslav Minkov, 1939
Ein Gemälde des bulgarischen Künstlers Kiril Tsonev aus dem Jahr 1939. Bildrechte: Svetla Georgieva

Kunst zeigt gesellschaftliche Realität

Die Kunst ab den 1920er-Jahren ist von großen gesellschaftlichen Umbrüchen geprägt. Nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs mit Millionen Toten entstehen überall in Europa neue Demokratien, neben der Weimarer Republik auch in Polen, in den baltischen Staaten oder in Jugoslawien. Die großen Umbrüche spiegeln sich auch in der Kunst wider: So radikal wie noch nie zuvor setzt sie sich mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit auseinander. Deutlich wird das in den vielen Gesellschaftsporträts, häufig mit sozial-kritischem und politischem Einschlag wie etwa bei Otto Dix oder George Grosz.

Diese Neuordnung der Gesellschaft ist etwas, das sich in dieser Kunst in ganz Europa ausdrückt.

Anja Richter, Kuratorin

Doch auch Aufbruch, Neubeginn und Lebenslust werden in den Werken dieser Jahre deutlich. Die neue, realistische Kunst setzt sich bewusst von früheren Avantgarden wie dem Expressionismus oder der abstrakten Kunst ab. "Der Aufbruch in der Kunst zeigt sich in einer Abkehr von dem Althergebrachten", sagt die Kuratorin der Chemnitzer Ausstellung, Anja Richter, MDR KULTUR.

Die Realismusbewegungen in Europa hätten die Suche nach einer neuen Bildsprache gemeinsam, außerdem gebe es "Themen, die in ganz Europa auftauchen, ob das die Emanzipation der Frau ist, die eben jetzt eine neue Frisur trägt, neue Kleidung, neue Berufe übernimmt oder auch, ob es die sich verändernden Großstädte sind", so Richter. Auch sozialer Wohnungsbau oder die Arbeit in Fabriken werden Gegenstand der neuen Kunst. "Diese Neuordnung der Gesellschaft ist etwas, das sich in dieser Kunst in ganz Europa ausdrückt", betont die Kuratorin.

Emanzipation: Frauen in der Kunst

Mit den großen politischen Umbrüchen der Zwischenkriegsjahre geht auch ein neues Frauenbild einher. Die Rolle der Frau in der Gesellschaft verändert sich: In der Weimarer Republik wird wie in vielen europäischen Ländern das Wahlrecht für Frauen eingeführt. Sie sind berufstätig und dürfen erstmals an Staatlichen Kunstakademien studieren. "Man kann fast sagen, es gab einen Sturm auf Kunstakademien", erläutert Kuratorin Anja Richter. Das neue Selbstbewusstsein zeigt sich auch in den Werken von Künstlerinnen der europäischen Avantgarde, wie beispielsweise im "Selbstporträt mit rotem Schal" der kroatische Malerin Cata Dujšin-Ribarvon von 1930, das Teil der Chemnitzer Ausstellung ist.

Cata Dujšin-Ribar: Selbstporträt mit rotem Schal (1930, Öl auf Leinwand)
Das "Selbstporträt mit rotem Schal" der Malerin Cata Dujšin-Ribar zeigt exemplarisch die neue Rolle von Frauen in der Gesellschaft der 1920er-Jahre. Bildrechte: Museum Gunzenhauser / Museum of Fine Arts, Split, Croatia / Robert Matić

Die Perspektive von Frauen und ihre Werke zu zeigen, sei ein Ziel der Ausstellung "European Realities", wie Anne Richter betont. Eine ganze Etage im Museum Gunzenhauser widmet sich den Frauenporträts der 1920er-Jahre. Auf den Bildern werden Frauen in einer "völlig neuen Rolle dargestellt", so Richter. Nicht mehr die Mutterschaft stehe bei den Frauen im Fokus, sondern "sie gehen arbeiten, sie sind modern gekleidet, sie partizipieren am gesellschaftlichen und öffentlichen Leben." Diese neuen, starken Persönlichkeiten spiegeln sich laut der Kuratorin auch in der Kunst wieder. "Das ist wirklich einzigartig für diese Epoche, weil Frauen auf einmal völlig neue Rollen übernehmen."

Das ist wirklich einzigartig für diese Epoche, weil Frauen auf einmal völlig neue Rollen übernehmen.

Anja Richter, Kuratorin

Gezeigt werden in der Ausstellung aber nicht nur Frauenporträts, sondern explizit auch Werke von Künstlerinnen. Denn in der ersten und auch namensgebenden Ausstellung zur Neuen Sachlichkeit im Jahr 1925 war das nicht der Fall. In der Schau, die damals auch im König Albert Museum in Chemnitz Station machte, waren Frauen nur als Motive präsent – 100 Jahre später hat sich das geändert.

Sport und Radio im Gemälde

Ein weiteres wichtiges Motiv in der Kunst der 1920er-Jahre ist der Sport. Denn in den Zwischenkriegsjahren wurden Sportereignisse wie Radrennen, Fußballspiele oder Tennis-Matches zum Massenphänomen. Zudem ermöglichten veränderte Arbeitszeiten Freizeitvergnügungen wie sportliche Aktivitäten. Als Teil der Gegenwart wurde Sport auch erstmals zum Gegenstand der bildenden Kunst.

Der Sport-Boom der 1920er-Jahre ist auch eng verknüpft mit dem Rundfunk. Sportliche Events wie die Boxkämpfe von Max Schmeling wurden von Zehntausenden vor dem Radiogerät verfolgt und das Radio so zum neuen Massenmedium der Weimarer Republik. Auch Künstler zeigen Radiohörer auf ihren Bildern.

Europäische Vernetzung heute und vor 100 Jahren

Die Ausstellung "European Realities" zeigt neben bekannten Vertretern der Realismusbewegungen auch viele bisher eher unbekannte Werke. So soll eine neue Perspektiven auf diese kunstgeschichtliche Epoche eröffnet werden. Dabei spielt besonders die Idee eines europäischen Netzwerks eine zentrale Rolle. Denn die Schau ist nicht nur durch die Zusammenarbeit mit zahlreichen europäischen Museen entstanden – 280 Leihgaben wurden aus verschiedenen europäischen Sammlungen nach Chemnitz geschickt. Auch für die Kunst der 1920er- und 1930er-Jahre war der Austausch zwischen Künstlerinnnen und Künstler zentral.

William Roberts: Les Routiers, um 1931
Der britische Maler William Roberts zeigt auf seinem Gemälde "Les Routiers" von 1931 Radfahrer. Bildrechte: Estate of John David Roberts. By permission of the

Quellen: MDR Kultur (Andreas Höll), redaktionelle Bearbeitung: lig

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 24. April 2025 | 07:10 Uhr

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